Der Beitrag geht insofern vollkommen fehl, als er die #Sozialhilfeverwaltung
vorliegend als die Alleinschuldige darstellt. Natürlich ist es ein
Skandal sondergleichen, wenn sich bei einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung
eine Sozialbehörde erst nach zwei Jahren zu einem für sie vermutlich
auch noch vorteilhaften Vergleich bereitfindet (einen gerichtlichen
Vergleich schließt man als Behörde ja nur dann ab, wenn man ein
unwägbares Prozessrisiko voraussieht oder von vornherein weiß, dass in
einem Endurteil des Ergebnis deutlich zugunsten der oder des Betroffenen
ausfallen wird). Das kann sich die Hamburger Sozialbehörde aber nur
deshalb "leisten", weil es im #Sozialverwaltungsrecht - die #Sozialhilfe ist ein Teil davon - keinerlei normative Durchgriffsmöglichkeiten der Betroffenen gibt (die einzige Möglichkeit wäre die #Staatshaftung;
dieselbe ist aber so kompliziert ausgestaltet, dass es vielleicht drei
Dutzend Experten in Deutschland gibt, die davon wirklich etwas
verstehen). Das heißt, wo die Sozialbehörde keinerlei Sanktionen außer
der schieren Nachzahlung einer Leistung, zu der sie gesetzlich soweiso
verpflichtet ist, zu fürchten hat, werden solche Fallgestaltungen eher
die Regel als die Ausnahme werden.
Warum ist das so?
Der Deutsche #Bundestag und der #Bundesrat haben Ende letzten Jahres ein vor allem von den Regierungsfraktionen im Bundestag viel gelobtes #Bundesteilhabegesetz (#BTHG)
verabschiedet, das in Teilen zum 01. Januar in Kraft getreten ist. Das
Versprechen des Gesetzgebers war ursprünglich, dass unter Einbeziehung
der Normgestaltung der #Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen der immer noch in der #Eingliederungshilfe vorhandene Fürsorgecharakter durch Leistungen zur #Teilhabe ersetzt werden sollen.
Allerdings standen die Regierungsfraktionen von vornherein unter einem
unlösbaren Dilemma. Dass Teilhabe nämlich Geld kostet, versteht sich -
wie die Fallgestaltung, die hier geschildert wird, deutlich zum Ausdruck
bringt - eigentlich von selbst. Die #Bundesregierung ist folglich an die Länder und Kommunen mit dem Versprechen herangetreten, sie wolle ein #Teilhabesicherungsgesetz
schaffen, das gleichzeitig Teilhabe ermöglichen und nicht mehr als der
bisherige Leistungsumfang kosten solle. Dabei war man insofern "tricky",
als man z.B. Regelungen einzuführen getrachtet hat, die den
Teilhabebedarf davon abhängig gemacht haben würden, ob man wenigstens in
fünf aus neun Lebensbereichen einen derartigen Bedarf aufzuweisen habe
(im vorliegenden Fall wären es immer noch mindestens drei aus neun
Lebensbereiche, weil Jessica einen umfassenden Assistenzbedarf hat).
Zumindest diese gesetzgeberische Schandtat ist jetzt erst einmal um
einige Jahre verschoben worden.
Der #Gesetzgeber
hat also versucht, eine eierlegende Wollmilchsau zu kreieren, was schon
in unkomplizierteren Fällen regelmäßig schief geht, aber im Bereich der
Teilhabe behinderter Menschen schon aufgrund der juristisch
unblaublichen## Komplexität und Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse
völlig daneben gehen musste. Man kann nur entweder ein Huhn dazu
bringen, dass es Eier legt oder es schlachten, beides gleichzeitig ist
schlechthin unmöglich.
Wir, die selbst Betroffenen, insbesondere auch solche mit einem juristischen Hintergrund, haben die #Regierungskoalition vielfach, vielgestaltig und ab einem gewissen Zeitpunkt im letzten Jahr auch ausgesprochen lautstark vor dieser #Gesetzgebung
gewarnt. Die neue Gesetzgebung fällt dem Bund bereits wenige Monate
nach Inkrafttreten dieses Nicht-Teilhabegesetzes "auf die Füße" und man
kann es den Sozialbehörden - lässt man die untragbare
menschenrechtlichte Situation, unter der die Betroffenen zu leiden
haben, einmal außen vor - nicht einmal übel nehmen, dass sie jetzt
versuchen, den gesetzlichen Rahmen bis zur Neige auszukosten.
Das
ist insofern finanzpolitisch - keinesfalls sozialpoliitsch -
verständlich, als die Teilhabesicherung wie vormals die
Eingliederungshilfe praktisch vollständig aus den kommunalen Kassen
steuerfinanziert wird. Der Bund hat den Ländern zwar vor Verabschiedung
des Bundesteilhabegesetzes versprochen, für die Teilhabesicherung fünf
Milliarden Euro zusätlich aufwenden zu wollen (wohlgemerkt, einmalig,
nicht jährlich), hat dieses Versprechen aber im letzten Jahr zugunsten
anderer Finanzierungsoptionen für die Länder wieder kassiert. Das heißt,
die Sozialhilfe bleibt nach wie vor _das_ Stiefkind der Bundespolitik.
Insofern macht es wenig Sinn - abgesehen von aller Tragik einer solchen
Falldarstellung wie der vorliegenden -, dass man mit dem Finger
ausschließlich auf die Exekutive, also die Verwaltung, zeigt. Die wahren
Verantwortlichen sitzen in der Legislative, also in der Gesetzgebung,
und sie sind beim Bund angesiedelt. Man könnte es auch noch drasticher
formulieren: #CDU/#CSU und #SPD
wollten im vergangenen Jahr schlicht und einfach nicht in nennenswertem
Umfang Geld in die Hand nehmen, um die Teilhabe behinderter Menschen
wirklich zu befördern und zu sichern. Das Ergebnis sind solche "Fälle"
wie der von Jessica. Zudem hat der Gesetzgeber mit einem schier
unfassbaren juristischen Wortgeklingel im BTHG versucht, zu
verschleiern, dass sich für die Betroffenen praktisch kaum etwas
wirklich zum Besseren wendet (und dafür dann immerhin über 360 Seiten in
einen Gesetzentwurf investiert). Deshalb kann man als Betroffener
eigentlich nur schreiben: Das ist #NichtmeinGesetz.
Der Link zum Beitrag im MDR: http://bit.ly/2uNj4sk
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