Mittwoch, 28. September 2016

Bundesregierung bleibt bei ihrer Position nach Einbringung des Bundesteilhabegesetzes in den Bundestag

Die #Bundesregierung wird das Gesetzgebungsverfahren zum #Bundesteilhabegesetz (#BTHG) beinhart durchziehen, vielleicht die ein oder andere marginale und nicht sonderlich kostenrelevante Änderung, die der #Bundesrat beantragt, durchwinken und das Gesetz im Großen und Ganzen genauso verabschieden, wie sie es eingebracht hat. Dass es sich - ganz nebenbei - um ein Spargesetz handelt, hat ja - soweit ich die Wortbeiträge, die auf Katrin Werner (Die #Linke) und Corinna Rüffer (Bündnis 90/#Grüne) folgten - nicht einmal die Koalition tatsächlich bestritten. Stattdessen bläst sie mit ziemlich dicken Backen viel Wind durch die Gegend, indem sie behauptet, die Opposition skandalisiere, wo dieselbe lediglich die korrekte Faktenlage und die prospektive Erwartungshaltung der Betroffenenverbände artikuliert. Inhaltlich hat die Bundesregierung zu den von der Opposition geäußerten Grausamkeiten, Verschlechterung und Verschlimmbesserungen dem Grunde nach mit keinem Wort Stellung bezogen, abgesehen davon, dass sie wohl bereits sein dürfte, bei der Lottereie 5 (bzw. 3) aus 9 und dem Pooling einzulenken. Das wurde zumindest in der Debatte schon offenbar, aber in meinen Augen ist das die gesetzgeberische Spielmasse, die die Bundesregierung in der Absicht durch die Referenten hat einbauen lassen, sich in der dritten Lesung so darstellen zu können, als käme sie den Verbänden jetzt sehr weitgehend entgegen; dabei beließe sie es letztlich – und genau das ist ja gewollt – nur beim jetzigen Zustand. Die Crux ist: Am Kostenvorbehalt - und einen solchen gibt es rein tatsächlich, wenn er auch juristisch weitgehend beerdigt schien - wird sich durch dieses Gesetz nicht nur nichts ändern, es wird ein deutlicher zusätzlicher Kostenvorbehalt für "Neufälle" eingeführt werden.
Was heißt eigentlich, das Gesetz dürfe keine sonderliche Ausgabendynamik entwickeln, wie die Bundesregierung in der im Deutschen #Bundestag eingebrachten Gesetzesvorlage und der Bundesrat in seinem Änderungsantrag vom folgenden Tag ja fordern? Letztlich wird damit zweierlei zugegeben oder doch zumindest sprachlich manifestiert: Die bisherige sehr weitgehend rechtswidrige Gesetzgebung und Verwaltungspraxis soll durch dieses Gesetz auf weitere Jahre hinaus zementiert werden. Rechtswidrig deshalb, weil es schon jetzt nach der Gesetzgebung des Grundgesetzes und der UN-Behindertenrechtskonvention illegal ist, Menschen nur aufgrund ihrer Behinderung schlechter zu behandeln als nicht-behindert werdende Menschen. Der Bestandsschutz, von dem jetzt die Rede ist, ist auch interessant: Damit werden dann gleich zwei Klassen von Benachteiligten geschaffen. Diejenigen, die nach altem Recht schon ziemlich stark benachteiligt wurden (weil ihre Einkünfte und Vermögen in rechtlich völlig unzulässiger Weise angerechnet worden sind) und die künftigen Habenichtse, für die zwar auch ein erhöhter Einkommens- und Vermögensfreibetrag gelten wird, denen aber von vornherein das bisher umfassende Leistungsspektrum der Eingliederungshilfe versagt werden soll. Das ist so gewollt, nach dem Abgeordneten der Unionsfraktion #Schiewerling ist das eben einfach Schicksal. Aha, wenn die Bundesregierung einen grundgesetzwidrigen Gesetzentwurf durch den Bundestag zu verabschieden gedenkt, ist das also einfach Schicksal? Pech gehabt, wenn Du beeinträchtigt bist und die Leistungen dummerweise erst nach dem Inkrafttreten des Gesetzes stellst, weil Du dann in wenigstens fünf (bei Pflegebedürftigkeit: in drei) Lebensbereichen einen Bedarf nachweisen musst. Das soll und das wird in immensem Umfang Leistungsberechtigte in der Eingliederungshilfe von den Leistungen per se ausschließen. So etwas kann man dann zwar sicherlich Teilhabe nennen, in Wahrheit ist es allerdings die – wie gesagt: bewusst gewollte – Rückkehr zu den Fürsorgerichtlinien des Deutschen Reiches in den 1920er Jahren, in denen die Betroffenen auf Gedeih und Verderb vom Wohlwollen der Sachbearbeiter (Sachbearbeiterinnen gab es damals praktisch überhaupt keine) abhängig waren.
Die Bundesregierung wäre erheblich ehrlicher, wenn sie den Betroffenen konzendieren würde: Hört zu, wir sind nicht bereit, für ein Promille der Bevölkerung die Menschenrechte in gleicher Weise anzuerkennen, wie wir das für 99,9% der restlichen Bevölkerung auch tun, akzeptiert das oder klagt euch eben durch die Instanzen. Immerhin haben die Länder und die Kommunen dann den Vorteil, dass sie bei vielen der Betroffenen, die entweder nicht die Kraft oder den Mut haben, sich durch sämtliche Gerichtsinstanzen klagen zu müssen, den entsprechenden Kostenvorteil, der sich dann schnell auf mehrere Milliarden Euro summieren wird. Man denke bei diesem Gesetz einfach an einen Spruch, den Bill Clinton in einem seiner – erfolgreich gewonnenen – Wahlkämpfe um das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika verwendet hat: „It’s the economy, stupid.“ Recht frei übersetzt: Die Ökonomie zeigt letztlich, wer hier Herr im Haus ist, Du Dummkopf.

http://bit.ly/2dAlqjC

Samstag, 24. September 2016

Zur ersten Lesung des #Bundesteilhabegesetzes (#BTHG) im Deutschen #Bundestag

Denn sie wissen sehr genau, was sie tun!

Und sie können sich noch nicht einmal - die Damen und Herren gerade der Union sind doch ansonsten so bibelfest - auf das Zitat aus dem Lukas-Evangelium "Denn sie wissen nicht, was sie tun" (Lk 23, 34) berufen. Nicht allein, dass die Debatte - ob es nun Hr. Schiewerling oder Fr. Tack waren - vonseiten der Koaltion mit wirklich unterirdischen Argumenten geführt worden ist. Wir Betroffenen, also die beeinträchtigten, also die im Sprachgebrauch immer noch fälschlich als Behinderte bezeichneten Menschen (Behinderung ist ein sozialer Begriff, kein medizinischer, wie ihn die Gesetzgebung nach wie vor fälschlich verwendet) beobachten die ganze Diskussion, wenn ich denn Hr. Schiewerling richtig verstanden habe, ja von Bäumen aus, auf die uns die Opposition mit ihrer Angstmache getrieben habe und die Opposition in den Personen der Abgeordneten Katrin Werner und Corinna Rüffer hatte also - nach der inklusionspolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Kerstin Tack - nichts Besseres zu tun, als nur auf Emotionen zu setzen und solle sich endlich wieder auf die Ebene der Fachlichkeit begeben. Wir sind also, die wir alle Fraktionen mit den von Fr. Werner und Fr. Rüffer (den behindertenpolitischen Sprecherinnen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen) verwendeten Argumenten gefüttert haben, so von Angst vor unserer eigenen Argumentation erfüllt, dass wir auf Bäume klettern müssen (kann ich nicht, ich hab' u.a. eine beidseitige Hüftdysplasie und Klumpfüße; auf Bäume klettern ist damit nciht drin) und wir sind so unfachlich, dass wir die fachliche Luminiszenz einer Kerstin Tack ("inklusionspoliitsche" [sic!] Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion), die sich dann gleich bemüßigt gesehen hat, überhaupt kein fachliches Argument zu bringen, nicht erkennen können. Wie pflegte vorgestern Abend noch die SPD-Bundestagsabgeordnete Gottschalck in einer persönlichen Nachricht an mich zu schreiben: Ich will Sie schützen. Aha, nicht nur, dass wir - abgesehen von den Begrifflichkeiten - mit dem #Bundesteilhabegesetz (#BTHG) vom Fürsorgerdanken eben nicht wegkommen, wir müssen auch vor unseren Argumentation und vor unserer eigenen Wut darüber, auf gut deutsch nur noch verarscht zu werden, geschützt werden. Es ist immerhin gut zu wissen, wo die Union und die SPD behindertenpolitisch wirklich stehen.
Ein mäßiges Lob übrigens an den behindertenpolitischen Sprecher der Unionsfraktion Uwe Schummer: Derselbe ging mir - bei Weitem - nicht weit genug, aber er hat einige Probleme wenigstens konkret fassbar gemacht, so schon in einem MDR-Beitrag vom Mittwoch, wo er sinngemäß ausgeführt hat: Wie das Ministerium auf die fünf Lebensbereiche [derer es im Regelfall bedarf, um überhaupt noch Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten zu können; d. Verf.], ist mir schleierhaft. Ich weiß nicht, ob sie das ausgewürfelt haben oder sie eine Erscheinung hatten.
Genau das scheint mir das grundständige Problem in weiten Teilen dieses Entwurfs zu sein. Als halbwegs intelligenter juristisch studiert habender Laubfrosch kann man beim fachlichen Durchlesen des Entwurfs eigentlich nur zu drei Schlussfolgerungen gelangen:
1.
Die #Bundesregierung hat den durch den Bundesrat ins Gesetzgebungsverfahren eingebrachten Vorschlag, dass mit dem Gesetzentwurf keinerlei progressive Ausgabendynamik verbunden sein darf, weitgehend ernst genommen (so steht es denn auch schon in der Präambel der Erläuterungen zum Gesetzentwurf). Das Gesetz ist ausdrücklich - das haben auch die Debattenredner auch der Koalition am Donnerstag noch einmal eindrücklich betont - kein solches, das in irgendeiner Form zusätzliche Leistungselemente (und dadurch Kosten verrursachen könnte; folglich ist das Argument der Ausgabendynamik faktisch ein ausschließlich ein durch Preissteigerungen und den dmographischen Wandel bedingtes) enthält. Es ist vielmehr - und darauf hat die Opposition dankenswerter Weise in aller Klarheit hingewiesen - in Wahrheit ein Spargesetz.
2.
Es erweckt sich an mehreren Stellen der Eindruck, als sollten Einrichtungsträger massiv geschützt werden. Man könnte auf den bösen Verdacht kommen, von denselben sei die ein oder andere Handreichung zum Gesetzentwurf geliefert worden (Lobbyisten gibt es - natürlich - auch mittlerweile auf diesem Gebiet; es gibt sie - dummer Weise - nur eben praktisch überhaupt nicht von "unserer" Seite).
3.
Man verleiht zwar gerne - mittlerweile auch an "uns", mittlerweile sogar schon an die Angehörigen der Betroffenen (was eine großartige Sache für deren Lebensleistung ist; die Frage ist nur, hilft uns das im täglichen Gestrüpp dessen, was wir da zu ertragen haben, wirklich weiter) - den ein oder anderen Orden, es darf dann sogar mittlerweile manchmal sogar schon das Bundesverdienstkreuz am Bande sein.
Im behördlichen Alltag werden wir nach wie vor abgefertigt wie Schulkinder oder wie Äffchen im Zoo, denen man regelmäßig Futter gibt, sie beim Spielen richtig niedlich findet, sie aber ansonsten in keiner Weise ernst nimmt.
Ich habe kürzlich als einer der Mitverfasser des Ursprungsentwurfs des BGG, den das FbJJ vor fünfzehn Jahren geliefert hat, geschrieben:
Sie haben uns so lange mitspielen lassen, sie haben uns sogar so lange ein wenig glänzen lassen, wie sie wussten, es kann ihnen finanziell nicht wirklich schaden. Schon die UN-BRK haben sie so hundsmiserabel übersetzt, dass man wirklich froh sein muss, dass die deutsche Übersetzung rechtlich überhaupt nicht maßgeblich ist (das LSG Baden-Württemberg verwendet z.B. die - durchaus maßgebliche - französische Fassung). Das SGB IX verkommt zu einem ähnlichen Papiertiger, wie es das 1974 geschaffene RehaAnglG (das weitgehend dieselben Zielsetzungen verfolgte wie das SGB IX) eines war (weil die darin formulierten Rechte regelmäßig nicht mit Sanktionen belegt waren, wenn sie von den Leistungsträgern nicht befolgt wurden; das ist im SGB IX sehr weitgehend genauso).
Jetzt legen sie uns ein BTHG vor, von dem ich nicht umsonst schreibe, es sei der schlimmste Rückschritt in der Behindertenpolitik seit den 1960er Jahren. Als das BSHG geschaffen worden ist, hat man sich wenigstens bemüht, aus den Fürsorgerichtlinien der 1920er Jahre stammende Regelungen gesetzlich so zu normieren, dass ein pflichtgemäßes Ermessen durch die Verwaltung ausgeübt werden musste. Sogar dahinter geht der BTHG-Entwurf in Teilen noch zurück.

Dieser Gesetzentwurf entspricht in keiner Weise dem Gleichheitsgrundsatz des #Grundgesetz, wo nach dessen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 "kein Mensch [...] wegen einer Behinderung benachteligt werden [darf]", dieser Gesetzentwurf verletzt in vielerlei Hinsicht die die Bundesrepublik, nachdem sie die Konvention ratifiziert hat, unmittelbar rechthlich bindende #Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nation (#UN-BRK). 
Bei beidem scheint diese Bundesregierung der Ansicht zu sein, es handele sich jeweils um unverbindliche Programmsätze statt an unmittelbar geltendes Recht, woran Verwaltung und Regierung gebunden sind, wonach sich die Rechtsprechung zu orientieren hat. Man sollte eine Verfassung auf Sonntagsreden nciht nur regelmäßig zitieren, man sollte sie auch in ihren wesentlichen Inhalten verstanden haben.

Donnerstag, 22. September 2016

Weshalb darf der Entwurf des Bundesteilhabegesetzes in der jetzigen Form auf keinen Fall Gesetz werden?

Weshalb darf der Entwurf des Bundesteilhabegesetzes
in der jetzigen Form auf keinen Fall Gesetz werden?

Ein Essay des Kompetenzzentrums Selbstbestimmt Leben Düsseldorf
Verfasser: Alexander Drewes, Jurist

Düsseldorf. Ein Gespenst geht um in Deutschland. Es ist ein Gesetzentwurf, der sich anmaßt, die Teilhabe behinderter Menschen wesentlich befördern zu wollen. „Zu wollen“ deshalb, weil dieser an vielen Stellen an seinem eigenen Anspruch scheitert.
Der von der #Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Bundesteilhabegesetzes (#BTHG-E) will das aus dem Fürsorgerecht der 1920er Jahre stammende Prinzip der Eingliederungshilfe komplett auf neue Füße stellen. Sowohl der Gesetzestext als auch die Begründung klingen in großen Teilen „modern“, in Wahrheit sind sie es aber nicht.
Langjährig tradierte Prinzipien werden, sofern sie zugunsten behinderter Menschen gewirkt haben, einfach „über Bord geworfen“.
So soll ein neuer Grundsatz etabliert werden, der die Hilfe zur #Pflege im Rang vor die #Eingliederungshilfe setzt. In der Eingliederungshilfe darf weiterhin in Zukunft nicht in nennenswertem Umfang Vermögen angespart werden, wenn ein behinderter Mensch im Leistungsbezug ist. Der Gesetzgeber kann jedoch – abgesehen von fiskalpolitischen Erwägungen – nicht erklären, weshalb er eine Anrechnung von #Einkommen und #Vermögen bei Leistungen für einen Umstand, der in der Person des behinderten Menschen liegt (nämlich dessen körperliche, Sinnes-, emotionale oder intellektuelle Beeinträchtigung), überhaupt vornimmt. Bezieht ein behinderter Mensch entweder ausschließlich Leistungen der Hilfe zur Pflege oder kumulativ auch noch solche der Eingliederungshilfe, bestimmt der Gesetzentwurf eine zusätzliche Ungerechtigkeit in der Ungerechtigkeit der erhöhten Vermögens- und Einkommensfreigrenzen. Dies tut er dadurch, dass er die Höhe der Freibeträge einfach auf dem bisherigen – sehr, sehr niedrigen – Stand belässt. Das heißt: Menschen, die Einkünfte erzielen und „nur“ Eingliederungshilfe beziehen, werden nunmehr ein bisschen weniger arm gemacht als bislang. Menschen, die auf Hilfe zur Pflege angewiesen sind, werden genau so arm belassen, wie das schon heute der Fall ist.
Schon das stellt eine evidente Ungleichbehandlung eines dem Grunde nach gleichen Sachverhaltes dar. Das ist nach dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 #Grundgesetz (#GG) einfach verfassungswidrig.
Die Bundesregierung kann auch nicht erklären, weshalb sie in Zukunft Leistungen „poolen“ will. Beim „Pooling“ ist angedacht, dass mehrere Leistungsbezieher einen identischen Leistungserbringer teilweise oder sogar zur gleichen Zeit nutzen.
Die Erklärung kann auch hier ausschließlich eine fiskalpolitische sein, einen ansatzweise nachvollziehbaren Grund im Hinblick der Qualität der Leistungserbringung liefert der Entwurf nicht. Er könnte das auch gar nicht, weil das sinnlogisch völlig unmöglich ist. Wie sich mehrere Nutzer zur gleichen Zeit ein und dieselbe Assistenzkraft teilen können sollen, wenn sie gleichzeitig – ggf. sogar differente – Bedarfe haben, auch das bleibt das Geheimnis des Gesetzentwurfs der Bundesregierung.
Bislang gilt im Recht der Eingliederungshilfe, dass zu erbringende Leistungen individualisiert, bedarfs- und kostendeckend zu erbringen sind. Zugegeben, daran halten sich viele Leistungsträger schon heute nicht. Leistungen werden ohne eine konkrete Bedarfsfeststellung erbracht, sie werden pauschaliert und eben nicht individualisiert erbracht. Dies führt regelmäßig zu einer Unterdeckung des tatsächlichen Bedarfs. Leistungsempfängern wird häufig angesonnen, sie sollten, damit Kosten gespart werden, die Leistungen nicht durch Fachkräfte oder doch wenigstens durch von den Betroffenen ausgesuchten Kräften erbracht werden, sondern von Diensten, die regelmäßig konkrete Vereinbarungen mit dem Leistungsträger haben, von denen zwar der Leistungsträger profitiert, (weil er Kosten spart) und auch der Dienst profitiert, (weil er regelmäßig seine Kosten pauschal abrechnen kann), die aber den Betroffenen überhaupt nichts nutzen, weil sie qualitativ unterwertig versorgt werden sollen.
Insofern klingt es ja zunächst gut, wenn die Bundesregierung schreibt, es bedürfe bestimmter Verrichtungen, damit ein Bedarf überhaupt festgestellt werden könne. Dabei wird jedoch nach einem Trick verfahren, dass wenigstens aus fünf von neun Bereichen die Notwendigkeit der konkreten Hilfestellung bei der Teilhabe nachgewiesen werden muss (sofern Assistenzleistungen benötigt werden, immer noch aus drei von neun). Das hebelt den #Bedarfsdeckungsgrundsatz weitgehend aus, weil viele Menschen zwar hohe Bedarfe an Hilfen haben, diese aber häufig nicht in fünf von den neun Bereichen, die der Gesetzgeber nennt. Das bedeutet z.B. für blinde Studierende, dass sie künftig keine Assistenzkosten für die notwendigen Vorlesekräfte mehr bekommen würden, weil sie in nicht ausreichend vielen Bereichen einen notwendigen Bedarf nachweisen können. Für gewöhnlich kann und muss dem #Sozialgesetzgeber unterstellt werden, dass er es regelmäßig wenigstens gut meint mit den Betroffenen, die Regelungen sodann aber entweder zu bürokratischen Monstren verkommen oder die Bedarfsbeschreibungen in den gesetzlichen Normierungen anfangs dermaßen an den realen Bedarfen vorbeigehen, dass die Gesetze mehrfach nachgebessert werden müssen, ehe sie einem Standard entsprechen, der den Betroffenen auch wirklich dienlich ist. Ein Paradebeispiel dafür ist die Einführung der Pflegeversicherung 1994. Bei Durchsetzung des vorliegenden Entwurfes werden fundamentale Prinzipien des Rechts der Eingliederungshilfe wie der Bedarfsdeckungsgrundsatz durchbrochen und ein Individualisierungsgrundsatz etabliert, der nicht individuell, sondern modular vorgeht.
Letzteres wäre dann unproblematisch, wenn sich der individuelle Hilfebedarf aus jedem einzelnen der neun genannten Module herleiten ließe, es bedarf derer allerdings – wie oben schon geschrieben – wenigstens fünf.
Stellen Sie sich, liebe Leserin, lieber Leser, der Sie nicht beeinträchtigt sind und mithin in ihrer Lebensgestaltung auch nicht behindert werden, einfach einmal folgende Situation vor: Sie kommen nachmittags müde von der Arbeit nach Hause. Sie laufen eilig in den Keller, um für die Zubereitung des Abendessens eine Konserve zu holen. Beim Treppenabstieg fallen Sie so unglücklich, dass Sie sich einen Halswirbel an einer Stelle brechen, die die wesentlichen motorischen Nervenbahnen dergestalt durchtrennt, so dass Sie eine hohe Querschnittslähmung erfahren. In aller Regel ist eine solche Schädigung irreparabel, Sie sind also für den Rest Ihres Lebens auf assistive Leistungen bei vielen Verrichtungen des täglichen Lebens angewiesen.
Sie benötigen also permanente Assistenz, vielleicht sogar 24 Stunden am Tag. Bislang haben Sie ein ordentliches Einkommen erzielt und – allein schon für die Altersvorsorge, aber vielleicht wollen die Kinder ja später auch studieren, das neue Automobil sollte nächsthin gekauft werden usw. – in gewissem Umfang Vermögen angespart. An eine private Unfallversicherung, die Risiken abdeckt, wie dasjenige, was Ihnen jetzt wiederfahren ist, haben Sie vorher natürlich gar nicht gedacht. Die hohen Assistenzkosten können Sie nicht aus eigener Tasche bezahlen (es kommen schnell Beträge im fünfstelligen Bereich zusammen), so dass Sie unweigerlich auf Leistungen der Hilfe zur Pflege, ggf. auch noch zur Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe angewiesen sind.
Die Anschaffung des neuen, vielleicht sogar ein wenig luxuriöseren Fahrzeugs, die Modernisierung des Hauses, die Übernahme der Kosten für eine hochwertige Kinder und – last not least – eine angemessene Altersvorsorge? Vergessen Sie es!
Sowohl nach den alten Regelungen, den noch aus dem fürsorgerechtlichen Gedanken stammenden Einkommens- und Vermögensanrechnungstatbeständen, als auch – deutlich abgemildert, aber eben in keiner Weise abgeschafft – nach dem jetzt geplanten neuen Recht werden Sie faktisch systematisch arm gemacht, Sie werden massiv anders behandelt, als dies bei Menschen der Fall ist, die nicht auf Eingliederungshilfeleistungen angewiesen sind. Die Leistungskomponenten nennen sich nach dem BTHG-E zwar #Teilhabeleistungen, allerdings ändert das nichts an der grundlegenden Systematik, die fast ausschließlich Begrifflichkeiten austauscht, die dem #Fürsorgerecht zugrundeliegenden gedanklichen Modelle jedoch im Wesentlichen nicht antastet. Auch Ihr Lebens- oder Ehepartner genießt nur begrenzten Schutz hinsichtlich seiner oder ihrer eigenen Einkünfte und Vermögen, er oder sie „haftet“ sozusagen dafür mit, dass Sie jetzt ein beeinträchtigter Mensch sind, der auch noch dadurch behindert wird, dass der Staat meint, diesen wesentlich schlechter behandeln zu müssen, als er das normalerweise mit seinen Bürgern tut. Abgesehen von dieser Ungerechtigkeit ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb der verfassungsrechtliche Grundsatz, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf, wie er im Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 GG niedergelegt ist, immer dann keine oder nur noch eine rudimentäre Geltung haben soll, wenn der Staat, gleich auf welcher Ebene, Geld aus Steuermitteln für diesen Personenkreis aufwenden muss.
Der BTHG-E entspricht in weiten Teilen nicht den Vorgaben der #Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-#BRK); er widerspricht auch fundamental der Verfassung dieses Landes. Die UN-BRK sieht nämlich eine einkommens- und vermögensunabhängige gleichberechtigte Teilhabe im örtlichen und überörtlichen Sozialraum vor. Wie eine gleichberechtigte Teilhabe möglich sein soll, wenn Betroffene z.B. selbst für die Kinokarte einer notwendigen Assistenzkraft zunächst mit dem zuständigen #Sozialamt streiten müssen (und das würde sich im Wesentlichen auch durch die Schaffung des BTHG nicht ändern), bleibt allerdings ein ungelöstes Rätsel der Bundesregierung.
Folglich: Wir brauchen natürlich ein modernes und den verfassungsrechtlichen und überstaatlichen Vorgaben genügendes Teilhabeleistungs- und -sicherungsgesetz. Ein Gesetz wie den jetzt vorgelegten BTHG-E brauchen die Betroffenen in ihrer Gesamtheit sicherlich nicht, weil es im Großen und Ganzen die #Einrichtungsträger finanziell absichert, den Grundsatz „ambulant vor stationär“ aufweicht und #Teilhabe, selbst da, wo sie bislang möglich war, teilweise sogar verunmöglicht.
Doch nicht nur die Betroffenen unmittelbar, auch die Angehörigen, die z.B. bei beeinträchtigten Menschen, die selbst ihre Bedürfnisse nicht konkret äußern können, lässt der Gesetzgeber nach wie vor vollends „im Regen stehen“. Er hilft auch diesem Personenkreis in keiner Weise, sondern vertraut einfach darauf, dass die Angehörigen ihre gesamten finanziellen Mittel, ihre gesamte körperliche und emotionale Kraft auf die Versorgung und Pflege der beeinträchtigten Familienangehörigen einsetzen und dafür vom Staat auch noch in jeder denkbaren Art und Weise schikaniert und finanziell „geschröpft“ werden.
Dieser Entwurf ist kein solcher, der behinderte Menschen auf Augenhöhe behandelt, dieser Entwurf fundamentiert, zementiert und schafft zum Teil in neuen Bezügen eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zwischen nicht-beeinträchtigten Menschen, die keiner staatlichen Leistungen durch die Sozialhilfeverwaltung bedürfen und solchen, die das tun. Schon das bisherige System der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege hat vor Ungerechtigkeiten gestrotzt; wie oben dargestellt, beabsichtigt die Bundesregierung, die Situation der betroffenen beeinträchtigten Menschen eher zu „verschlimmbessern“, als eine wirklich fortschrittliche Gesetzgebung auf den Weg zu bringen. Der BTHG-E ist mithin eher ein „Behinderungs“- als ein echtes #Teilhabegesetz.
Die einzige Frage, die sich uns stellen muss: Opponieren wir grundsätzlich gegen dieses Gesetz oder lassen wir es – mit den marginalen Änderungen, die die Fraktionen im Deutschen #Bundestag und der #Bundesrat sicherlich durchsetzen werden – passieren und hoffen hernach auf die Rechtsprechung des #Bundesverfassungsgericht (#BVerfG)? Gespenster haben es an sich, dass man sie nicht sieht – von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt kann dieser Entwurf, wenn er denn kommen sollte und gemessen am Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes vor dem BVerfG nicht bestehen.

40235 Düsseldorf, Grafenberger Allee 368 am 21.9.2016

Samstag, 3. September 2016

Wie sanktioniere ich vermeintlich faule Grundsicherungsleistungsempfänger: BA stellt neue Dienstanweisung vor

Die BA gibt in einer neuen Dienstanweisung einen Katalog heraus, der erheblich verschärfte Sanktionen für Grundsicherungsleistungsempfänger vorsieht, die angeblich vorsätzlich oder grobfahrlässig ihrer Leistungsminderungspflicht nicht nachkommen; die Beispiele der BA sind allerdings so grotesk gewählt, dass das nach dem Zufallsprinzip im Grunde fast jeden Leistungsempfänger treffen kann): Die Bundesagentur für Arbeit (BA) stellt sich mit ihren Dienstanwesiungen ja gerne regelmäßig selbst ein Bein, das ist im Grunde nichts Neues. Neu ist allenfalls, dass die Dienstanweisung gleich in mehrerlei Hinsicht gegen eine fundierte Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit bis hoch zum Bundessozialgericht verstößt. Es erweckt geradezu den Eindruck, als wolle es die BA einfach darauf anlegen, dass ein gewisses Quantum an Betroffenen schon nicht den Rechtsweg beschreiten wird. Auch so kann man natürlich Sozialleistungen einsparen: Man weiß, dass eine Anweisung - vorsichtig formuliert - rechtlich anfechtbar ist. Man nimmt diese Anfechtbarkeit aber in Kauf, weil man meint, damit den Bundesfinanzminister hinsichtlich der Auszahlung von Regelsätzen in nennenswertem Umfang entlasten zu können. Das ist eine etwas merkwürdige Interpretation der Begriffe Rechts- und Sozialstaat, alleridngs muss man juristisch konstatieren: a. das ist nicht das erste Mal, dass eine Bundesbehörde das versucht und b. beim Entwurf des Bundesteilhabegesetzes versucht die Bundesregierung gegenwärtig, dass auf den gesamten Bereich schwer und schwerst beeinträchtigter behinderter Menschen auszudehnen. Hachja, da lässt sich erst Geld sparen.

Zu den immer wieder durch die Gegend geisternden Vorschlägen aus der #CSU, den #Länderfinanzausgleich entweder ganz abzuschaffen oder doch so wesentlich zu reformieren, dass Bayern erheblich weniger Zahlungen leisten muss als bislang:
Das #Solidaritätsprinzip wird nicht "von oben diktiert", es steht an mehrerlei Stellen im #Grundgesetz, so, dass Deutschland ein demokratischer und _sozialer_ Bundesstaat ist. Und dass zumindest versucht werden soll, in dieser Republik weitgehend gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen, ist auch in der Verfassung geregelt. Wenn es dem Freistaat #Bayern folglich darum geht, eine Änderung der Zahlung in den Länderfinanzausgleich zu erreichen, kann es dabei allenfalls um die Messwerte und die Zahlsumme als solche gehen, nicht hingegen um das Institut als solches. Wenn man Seehofer und Konsorten richtig verstanden hat, geht es aber ja auch gar nicht um die Abschaffung des Länderfinanzausgleiches, sondern um die Höhe der Zahlungen. Dass in anderen Bundesländern so wesentlich schlechter gewirtschaftet würde als in Bayern, ist auch eine gern von bayerischer Politik benutzte Fama. Bayern hat in den 1980er Jahren das immense Glück gehabt, dass sich dort vermehrt Hochtechnologie angesiedelt hat, weil die Bayerische #Staatsregierung damals erkannt hat, dass das ein wirtschaftliches Betätigungsfeld ist, dem die Zukunft gehört. Da waren die Bayern einfach ein wenig schneller und pfiffiger als andere Bundesländer. Hingewisen sei jedoch darauf, dass der Freistatt Bayern bis vor einigen Jahrzehnten selber noch Nettozehlungsempfänger war. Mir ist schon bewusst, dass die CSU einen Großteil ihrer Politik mit Populismus betreibt (so nach dem dort ja beliebten Motto "Lederhose und PC"), aber man kann es damit auch wirklich übertreiben.