Samstag, 20. August 2022
Weshalb die Mehrbedarfsregelungen für beeinträchtigte Menschen (Menschen mit Behinderung) im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende teilweise absurd sind
Dienstag, 1. Juni 2021
Meine Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Hessischen Landesregierung für ein Gesetz zur Teilhabe von Menschen mit Sinnesbehinderungen (LT-Drs. 20/5474)
Anhörung im Ausschuss für Soziales und Integration des Hessischen Landtages am 01.06.2021
Stellungnahme
zum Entwurf eines Gesetzes
zur Teilhabe von Menschen mit
Sinnesbehinderungen (Sinnesbehindertengesetz;
LT-Drs.: 20/5474)
der hessischen
Landesregierung vom 29.03.2021
mit Anschreiben an den Landtags-Präsidenten
vom 09.04.2021
(in den Landtag
eingebracht am 12.04.2021)
von
Alexander Drewes, LL.M.
Mag. Jur. Dipl.-Psych.
M.A. M.A.
Inklusions-Consult
i.Gr.
A. Prolog
Schon im Hinblick auf die Begrifflichkeiten hinkt der
Entwurf sprachlich den neueren Entwicklungen sowohl der Weltgesundheitsorganisation
(WHO) als auch der Internationalen Klassifizierung von Beeinträchtigungen (ICD)
hinterher:
Aus einer Schädigung folgt eine Beeinträchtigung (hier: der
Sinnesorgane), die zu einer Behinderung der gesellschaftlichen Teilhabe, sei es
durch Barrieren oder durch Diskriminierung, führt. Mithin müsste es korrekt
Landes-Sinnesbeeinträchtigtengesetz heißen, da die Behinderung den
tatsächlichen Ausfluss des gesellschaftlichen Einwirkens auf den betroffenen
beeinträchtigten Menschen darstellt.
B. Inhaltliche Bewertung des Gesetzentwurfes
I.
Hessen wäre erst das neunte Bundesland, das eine Geldleistung
für gehörlose und taubblinde Menschen einführt. Es wird seitens der
Landesregierung im Entwurf nirgendwo auch nur Versuch unternommen, zu
erläutern, warum das Bundesland Hessen hier wieder einmal den sozialpolitischen
Nachzügler darstellt.
II.
Der Gesetzentwurf stellt einen löblichen inhaltlicher Ansatz
dar, der aber hinsichtlich der finanziellen Leistungsgewährung völlig verfehlt
ist.
III.
Zur Schaffung eines Landesgehörlosengeldgesetzes ([LGlGG]:
1.
Schon der Begriff des
Landesgehörlosengeldgesetzes ist semantisch falsch, schließlich gibt es keine
Landesgehörlosen; semantisch wäre Landes-Gehörlosengeldgesetz korrekt) ist für
gehörlose Menschen schon insofern ein Erfolg, als sie auch im Bundesland Hessen
einen jahrzehntelangen Kampf darum ausgefochten haben, dass sie einen gleichberechtigten
Teil der Gesellschaft darstellen; man denke nur an die auch in Hessen
unsäglichen Diskussionen um die Einführung der Deutschen Gebärdensprache (DGS)
als eigenständige Sprache vor Schaffung des Hessischen
Behindertengleichstellungsgesetzes (HessBGG).
2.
Die Höhe der Leistung des
Gehörlosengeldes im Umfang von 150,- € monatlich ist in Anbetracht der
wesentlich höheren Kostenbelastung, denen gehörlose Menschen z.B. blinden
Menschen ggü. ausgesetzt sind, eine Zumutung.
a.
Allein eine Stunde
Gebärdensprachdolmetschung kostet – schon nach den Regelungen des JVEG –
mindestens 85,- €. Das bedeutete, ein gehörloser Mensch würde sich von dem
Gehörlosengeld noch nicht einmal zwei Stunden Dolmetschung leisten können.
Gerade im privaten Bereich sind gehörlose Menschen sonst regelmäßig auf
Teilhabeleistungen nach dem SGB IX als einkommens- und vermögensabhängige
Sozialhilfeleistung angewiesen. Insofern sind die jetzt in Rede stehenden 150,-
€ nicht einmal ein Tropfen auf dem heißen Stein.
b.
Die Höhe der Leistungsgewährung
orientiert sich hier ersichtlich nicht am tatsächlichen Bedarf, sondern
ausschließlich an fiskalischen Erwägungen; dies bei einem sodann auch noch
überschaubaren Personenkreis.
3.
Allenfalls als Hohn können die
Betroffenen die Anrechnungsregelung des § 5 Abs. 1 LGlGG empfinden, wonach sich
das Gehörlosengeld dem Grunde nach nicht einmal als eine eigenständige Leistung
definiert, wenn andere vergleichbare Leistungen gewährt werden.
IV. Zur Änderung des Landes-Blindengeldgesetzes (LBliGG):
1.
Etwas besser stellt sich die
Situation für taubblinde Menschen dar, die allerdings einen allumfassenden
Kommunikationshilfebedarf haben. Hier würde nach dem Gesetzentwurf ggw. ein
monatliches Leistungsvolumen im Umfang von 1316,- € gewährt. Da auch für Taubblindenassistenten/innen
der gleiche Kostenansatz wie für DGS-Dolmetscher anzusetzen ist, bedeutete das,
dass hiervon lediglich maximal 15,5 Stunden Assistenzleistungen monatlich
finanziert werden könnten (hierin noch nicht mit eingerechnet sind die Warte-
und Fahrzeiten, für die die Assistenzkraft weiterhin 75,- € geltend machen
kann; vgl. hierzu die Regelungen des JVEG).
2.
Bei einem vollumfänglichen
Assistenzbedarf deckt dies also gerade mal – ausgehend von einer
Berufstätigkeit – 1/16 des durchschnittlichen privaten Tagesbedarfs, nämlich
eine halbe Stunde von notwendigen acht Stunden täglich ab.
3.
Ansonsten ist auch dieser
Personenkreis für die private Teilhabe auf Leistungen der einkommens- und
vermögensabhängigen Eingliederungshilfe nach dem SGB IX angewiesen.
4.
Dass die Leistungsgewährung
als Teilhabeleistung ein völlig neues Instrument auch für den überörtlichen
Sozialhilfeträger ist, erfahre ich gerade im Antragsverfahren gegenüber dem
zuständigen Träger, der den Eindruck erweckt, er habe noch nie mit einer
derartigen Antragstellung zu tun gehabt. Auch das deutet darauf hin, dass die
Anzahl von taubblinden Menschen im Bundesland Hessen durchaus überschaubar ist.
V.
Dass die Landesregierung in ihrer Begründung – immerhin
über 15 Jahre nach Inkrafttreten des HessBGG (und damit der Anerkennung der DGS
auch in Hessen) und auch lediglich viereinhalb Jahre nach Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes
(BTHG), mit dem das Beeinträchtigungsbild der Taubblindheit endlich anerkannt
worden ist – zu dem Ergebnis gelangt ist, dass es für diesen Personenkreis
eigener Leistungstatbestände bedarf, ist in Anbetracht der Parteizugehörigkeit
mindestens des Sozialministers außerordentlich negativ bemerkenswert.
VI.
Positiv ins Gewicht fallen die neuen Antragsregelungen (§ 6
Abs. 2 LGlGG; § 6 Abs. 2 LBliGG), wonach es künftig hinreicht, dass dann, wenn die
Merkzeichen „Bl“, „Gl“ und/oder „TBl“ im Schwerbehindertenausweis durch die
Versorgungsverwaltung eingetragen worden sind, dies für die Leistungsberechtigung
im Antragsverfahren hinreicht.
1.
Das bisherige Antragsverfahren
war für die Betroffenen im Rahmen der stattfindenden medizinischen Begutachtung
teilweise schlichtweg unwürdig einer sozialstaatlichen Leistungsgewährung,
ebenso unter dem Aspekt der menschenrechtlichen Teilhabegewährung nach den
Regelungen der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK).
2.
Mit der Anerkennung der durch
die Versorgungsverwaltung im Rahmen der Zuerkennung von Merkzeichen erfolgenden
Verwaltungspraxis folgt die Landesregierung jedoch dem Grunde nach nur – wie
sie ja in der Begründung selbst feststellt – der neueren Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG) und demselben nachfolgend des
Bundessozialgerichts (BSG). Mithin stellt die Neuregelung keine Besserstellung
der Antragsteller, sondern lediglich die Aufhebung eines bisherigen
Vollzugsdefizits dar.
VII.
Mit der Streichung des § 6 Abs. 3 bis 5 LBliGG nimmt der
Gesetzgeber eine solche von Normierungen vor, die schon in der Fassung des LBliGG
vom 06.11.2011 nicht mehr Gesetz waren.
VIII.
Auch der neu zu schaffende § 5 Abs. 4 LBliGG zeigt
überdeutlich, dass die Landesregierung die Leistungsgewährung auch für blinde
und taubblinde Menschen nach dem Sparstrumpfprinzip als eigenständige Leistung
nur dann anerkennt, wenn andere gleichartige Leistungen nicht erbracht werden
(und der Pflegebedarf hier nach wie vor in einer völlig unrealistischen Höhe
angerechnet wird; blindheitsbedingter Pflegebedarf kommt nach der
Modulgestaltung des SGB XI praktisch überhaupt nicht vor; trotzdem behauptet
die gesetzliche Regelung stante pedes das Gegenteil).
IX.
Soweit in der Begründung des Gesetzentwurfes behauptet
wird, das LGlGG entspräche inhaltlich weitgehend dem LBliGG, stimmt das
allenfalls für die verfahrensrechtlichen Regelungen, nicht hingegen für die
Leistungshöhe, worauf weiter oben bereits eingegangen worden ist.
C. Resümee
1.
Insgesamt muss man resümierend konstatieren, dass die
Landesregierung hier nicht nur völlig verspätet einen dringend notwendigen
leistungsgesetzlichen Tatbestand für gehörlose und taubblinde Menschen schafft
und das Verfahren sachte positiv zugunsten der Betroffenen ausgestaltet,
sondern dass sie im Hinblick auf die Leistungshöhe bei den jetzt neu
betroffenen Personengruppen (gehörlose und taubblinde Menschen) völlig an der
Lebenswirklichkeit der Betroffenen vorbeiagiert.
2.
Die im Gesetzentwurf genannten Leistungshöhen von 150,- €
für gehörlose und 1316,- € für taubblinde Menschen decken nicht im Ansatz den
tatsächlichen Bedarf und sollen das augenscheinlich auch gar nicht, werden doch
die Leistungen sogar mit vergleichbaren durch andere Leistungsträger
verrechnet.
3.
Man muss der Landesregierung leider unterstellen, dass sie
nicht einmal wie ein Tiger gesprungen und wie ein Bettvorleger gelandet ist,
sie hat den Tiger vorab scheinbar dermaßen schläfrig sein lassen, dass der
Gesetzentwurf, der zudem auch in Teilen schlampig verfasst worden ist, in
seiner Intention – gerade in Anbetracht der Regelungen des Art. 3 Abs. 3 Satz 2
GG, des HessBGG und insbesondere der UN-BRK – als weitgehend gescheitert gelten
muss.
Freitag, 4. August 2017
Worin sehen Führungskräfte die größten Schwierigkeiten bei der Anstellung schwerbehinderter Arbeitnehmer?
- 57%, sie sähen ein Problem darin, dass Arbeitsplätze barrierefrei ausgestaltet seien;
- 24%, dass behinderte Menschen den Anforderungen im Unternehmen nicht gerecht werden könnten;
- 24%, es gäbe keine passenden Bewerber mit Beeinträchtigungen;
- 21%, dass sich der Gesundheitszustand der beeinträchtigten Bewerber im Verlauf der Tätigkeit verschlechtern könne, es dadurch zu personellen Ausfällen im Unternehmen kommen könne;
- 19%, dass die Beschäftigung beeinträchtigter Menschen Aufwand und hohe Kosten für das Unternehmen verursachen würde.
Erstaunlich ist das nicht wirklich. Selbst jemand wie ich, hoch qualifiziet, hoch motiviert, mobil trotz massiver Beeinträchtigungen, tue mich schwer bei der Suche, obwohl (oder vielleicht auch gerade?) weil ich auf dem Level des ehemals höheren Dienstes bzw. auf Geschäftsführungsebene suche. Scheinbar scheinen die Arbeitgeber einem beeinträchtigten Menschen, selbst wenn er beretis früher Führungsaufgaben wahrgenommen hat, nicht zuzutrauen, dass derselbe das noch immer kann, wenn sich sein Beeinträchtigungsbild zwischenzeitlich massiv verschlechtert hat. Erstaunlich ist auch, was man sich insbesondere bei den sog. Sozialverbänden so "anhören" darf. Ich habe von einem der größten Landesverbände eines Sozialverbandes den Rücklauf erhalten, ich möge doch zunächst einmal ein Praktikum (natürlich unbezahlt, wohlgemerkt auf eine Stellenausschreibung hin) wahrnehmen, danach könne man ja einmal sehen, ob ich für eine Sachbearbeitung (beworben hatte ich mich auf eine Geschäftsführung) geeignet sei, hernach könne man ja sehen, ob ich mich nicht nach längerer Zeit sozusagen hocharbeiten könne. Was einem da - mehr oder minder unverblümt - an Diskriminierung entgegen schlägt, ist wirklich erschreckend und man braucht schon ein enorm dickes Fall, um das auf eine längere Sicht hin durch zu halten. Deshalb kann ich Bewerber/innen gut verstehen, die irgendwann völlig entnervt aufgeben. #Arbeitsmarkt #Nixklusion
Ich überlege mir deshalb schon längere Zeit, ob es nicht einen Sinn ergibt, mit mehreren Interessierten einen Inklusionsbetreib zu gründen, der - ähnlich wie die ZAV - versucht, schwerbehinderte Akademiker zu vermitteln. Das könnte aus meiner Sciht deshalb Sinn ergeben, weil dann selbst Betroffene den Arbeitgebern aufzeigen könnten, dass und was alles tatsächlich möglich ist.
Die Quelle zu den Zahlen und dem zugrundeliegenden Artikel in der "Wirtschaftswoche": http://bit.ly/2vp7HHU
Mittwoch, 26. Juli 2017
Was hat das Nicht-Versenden der Para-WM im Rundfunk mit fehlender Inklusion zu tun?
Sonntag, 23. Juli 2017
Welche Verantwortung trägt die Sozialhilfeverwaltung an den Missständen, welche nicht viel eher die Politik? Der "Fall" Jessica
Warum ist das so?
Der Deutsche #Bundestag und der #Bundesrat haben Ende letzten Jahres ein vor allem von den Regierungsfraktionen im Bundestag viel gelobtes #Bundesteilhabegesetz (#BTHG) verabschiedet, das in Teilen zum 01. Januar in Kraft getreten ist. Das Versprechen des Gesetzgebers war ursprünglich, dass unter Einbeziehung der Normgestaltung der #Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen der immer noch in der #Eingliederungshilfe vorhandene Fürsorgecharakter durch Leistungen zur #Teilhabe ersetzt werden sollen.
Allerdings standen die Regierungsfraktionen von vornherein unter einem unlösbaren Dilemma. Dass Teilhabe nämlich Geld kostet, versteht sich - wie die Fallgestaltung, die hier geschildert wird, deutlich zum Ausdruck bringt - eigentlich von selbst. Die #Bundesregierung ist folglich an die Länder und Kommunen mit dem Versprechen herangetreten, sie wolle ein #Teilhabesicherungsgesetz schaffen, das gleichzeitig Teilhabe ermöglichen und nicht mehr als der bisherige Leistungsumfang kosten solle. Dabei war man insofern "tricky", als man z.B. Regelungen einzuführen getrachtet hat, die den Teilhabebedarf davon abhängig gemacht haben würden, ob man wenigstens in fünf aus neun Lebensbereichen einen derartigen Bedarf aufzuweisen habe (im vorliegenden Fall wären es immer noch mindestens drei aus neun Lebensbereiche, weil Jessica einen umfassenden Assistenzbedarf hat). Zumindest diese gesetzgeberische Schandtat ist jetzt erst einmal um einige Jahre verschoben worden.
Der #Gesetzgeber hat also versucht, eine eierlegende Wollmilchsau zu kreieren, was schon in unkomplizierteren Fällen regelmäßig schief geht, aber im Bereich der Teilhabe behinderter Menschen schon aufgrund der juristisch unblaublichen## Komplexität und Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse völlig daneben gehen musste. Man kann nur entweder ein Huhn dazu bringen, dass es Eier legt oder es schlachten, beides gleichzeitig ist schlechthin unmöglich.
Wir, die selbst Betroffenen, insbesondere auch solche mit einem juristischen Hintergrund, haben die #Regierungskoalition vielfach, vielgestaltig und ab einem gewissen Zeitpunkt im letzten Jahr auch ausgesprochen lautstark vor dieser #Gesetzgebung gewarnt. Die neue Gesetzgebung fällt dem Bund bereits wenige Monate nach Inkrafttreten dieses Nicht-Teilhabegesetzes "auf die Füße" und man kann es den Sozialbehörden - lässt man die untragbare menschenrechtlichte Situation, unter der die Betroffenen zu leiden haben, einmal außen vor - nicht einmal übel nehmen, dass sie jetzt versuchen, den gesetzlichen Rahmen bis zur Neige auszukosten.
Das ist insofern finanzpolitisch - keinesfalls sozialpoliitsch - verständlich, als die Teilhabesicherung wie vormals die Eingliederungshilfe praktisch vollständig aus den kommunalen Kassen steuerfinanziert wird. Der Bund hat den Ländern zwar vor Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes versprochen, für die Teilhabesicherung fünf Milliarden Euro zusätlich aufwenden zu wollen (wohlgemerkt, einmalig, nicht jährlich), hat dieses Versprechen aber im letzten Jahr zugunsten anderer Finanzierungsoptionen für die Länder wieder kassiert. Das heißt, die Sozialhilfe bleibt nach wie vor _das_ Stiefkind der Bundespolitik.
Insofern macht es wenig Sinn - abgesehen von aller Tragik einer solchen Falldarstellung wie der vorliegenden -, dass man mit dem Finger ausschließlich auf die Exekutive, also die Verwaltung, zeigt. Die wahren Verantwortlichen sitzen in der Legislative, also in der Gesetzgebung, und sie sind beim Bund angesiedelt. Man könnte es auch noch drasticher formulieren: #CDU/#CSU und #SPD wollten im vergangenen Jahr schlicht und einfach nicht in nennenswertem Umfang Geld in die Hand nehmen, um die Teilhabe behinderter Menschen wirklich zu befördern und zu sichern. Das Ergebnis sind solche "Fälle" wie der von Jessica. Zudem hat der Gesetzgeber mit einem schier unfassbaren juristischen Wortgeklingel im BTHG versucht, zu verschleiern, dass sich für die Betroffenen praktisch kaum etwas wirklich zum Besseren wendet (und dafür dann immerhin über 360 Seiten in einen Gesetzentwurf investiert). Deshalb kann man als Betroffener eigentlich nur schreiben: Das ist #NichtmeinGesetz.
Der Link zum Beitrag im MDR: http://bit.ly/2uNj4sk
Samstag, 17. Juni 2017
Der SPIEGEL und die schulische Inklusion behinderter Kinder
Weshalb ist der SPIEGEL nicht in der Lage, ein solches Thema als das zu transportieren, was es für die Betroffenen ist, nämlich als eine echte Chance? Natürlich ist es trendy und chic, der Antithese zur Inklusion behinderter schon deshalb das Wort zu reden, weil es am Willen fehlt, dieselbe umzusetzen, weil ersichtlich zu wenig Personal zur Verfügung steht, weil es immens an sächlichen und finanziellen Mitteln fehlt. Das - mit Verlaub - ist allerdings ein Problem des deutschen Schulsystems. Man kann dem natürlich dadurch begegnen, wie es CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen jetzt getan haben, die ersichtlich (auch) einen Schulwahlkampf geführt haben, die FDP wohl deshalb, weil es derselben um die Zahnarzteltern ging, die in Angst davor leben, ihren Sprößlingen könnte es die Schulkarriere verhageln, wenn sie zusammen mit behinderten Kindern unterrichtet werden müssen. Der CDU hingegen muss ja schon ihr christliches Menschenbild im Wege stehen; wie kann es sein, dass sich behinderte Menschen anmaßen, die gleichen Rechte für sich geltend machen zu wollen, wie nicht behinderte. Das ist ersichtlich nicht Gott-gegeben. Der Wahlkampf war Diskriminierung reinsten Wasser, und wenn Sie eiinmal etwas in sich gehen würden, kämen Sie - möglicherweise - ja zu dem Schluss, dass mindestens Ihre Berichterstattung (ich fürchte ja eher, die Denke der entsprechenden, das Thema bearbeitenden Redakteure/innen) - genau dasselbe ist. Sie tut nämlich gerade so, als seien behinderte Menschen per se nicht mit nicht-behinderten vergleichbar und stellten für sich genommen dem Grunde nach praktisch immer ein Problem für die nicht-behinderte Mehrheit dar. Bravo, so grenzen Sie über den Daumen gepeilt einfach einmal 10% der Bevölkerung aus.
Dabei bestreitet niemand, absolut niemand, dass wir uns selbst dann in den Mühen der Ebenen bewegen würden, wenn die Inklusion politisch nicht nur rhetorisch gefordert, sondern auch gewollt wäre. Es gibt viel zu wenig qualifizierte Schulbegleiter, die Bezahlung derselben stlelt ein echtes Dilemma dar, die Lehrerschaft ist nach meinen Erfahrungen in großen Teilen mindestens unwillig, weil "das behinderte Kind den Ablaufplan stört und sich nicht nahtlos in den Curriculum einfügt". Spätestens als ich diese Aussage gehört habe, war mir klar, dass nicht an den behinderten Kindern etwas falsch sein muss, sondern offensichtlich grundlegend etwas an der pädagogischen Ausbildung unserer Lehrkräfte. Zudem fehlt den Kommunen das Geld, Schulen in weitem Umfang barrierefrei herzurichten (nun ja, soll sich der Bund doch dafür jetzt finanziell engagieren, das grundgesetzliche Recht hätte er ja neuerdings dazu), es gibt kaum jemals zwei Klassenlehrerer je Klasse, wie sie selbst in einer solchen, in der nicht inklusiv beschult würde, außerordentlich von Vorteil wäre. Wir sparen bei unserer Bildung von vorne bis hinten, verlangen unseren Kindern nach PISA ein immer höheres Leistungsquantum ab und wundern uns dann allen Ernstes, dass uns das Bildungssystem sukzessive "den Bach runtergeht". Ich konstatiere: Man könnte, wenn man wollte, aber schon auf der politischen Ebene will man in Wahrheit ja gar nicht, weil man dann so viele heilige Kühe des Bildungssystems schlachten müsste, dass sich daran großflächig kein Mensch dran traut. Dass es anders geht, zeigt beispielsweise der Ansatz der Offenen Schule Waldau in Kassel. Vielleicht hätten Sie im Rahmen Ihrer Berichterstattung dieselbe einmal besuchen sollen, immerhin war die Schule vor einigen Jahren bei einem Schulranking von Ihnen unter den besten in Deutschland. Das hat Gründe. Aber dieselben muss man natürlich sehen, wahrnehmen und auch rezipieren wollen. Ich bin mir bei Ihnen schlichtweg nicht mehr sicher, ob Ihr Journalismus - gerade bei "Rand"themen, wie es in Ihren Augen sicherlich die schulische Inklusion behinderter Kinder ist - überhaupt noch in der Lage ist, dem gerecht werden zu wollen, ja, ich gehe so weit, die Vermutung anzustellen, dass Sie dazu vermutlich gar nicht in der Lage sind. Es könnte ja Ihr Weltbild dann doch ein wenig deformieren, wenn Sie erführen, dass Inklusion auch funktionieren kann.
Der ursprüngliche Artikel, auf den ich mich beziehe, ist die Titelgeschichte "Illusion Inklusion" aus der gedruckten Ausgabe 19/2017 vom 06.05.2017, S. 100 ff. Bei einem solch wichtigen Thema hat der Verlag es vorgezogen, den Artikel lediglich bezahlweise ins Internet zu stellen.
Offensichtlich ist der Redaktion mittlerweile aufgegangen, dass das Thema - gerade auch aus Sicht der Eltern - eine solche Wucht entfaltet, dass er den Artikel "Schulfrust wegen Inklusion: Die Macht der wütenden Eltern" von Silke Fokke jetzt unentgeltlich online gestellt hat (was natürlich auch daran liegen wird, dass sich der Artikel von Fr. Fokke in der neuen Print-Ausgabe 25/2017 vom 17.07.2017 nicht findet; nun ja, es ist natürlich wichtiger für das Blatt, die Stadt, in der es erscheint, einmal wieder in einer Titelgeschichte relativ unmotiviert hochleben zu lassen. Der Link zu dem Artikel auf SPIEGEL online: http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/hamburg-schulfrust-wegen-inklusion-eltern-rechnen-mit-der-politik-ab-a-1151378.html.