Dienstag, 29. September 2009

Das große Heulen und Zähneklappern der SPD nach der Bundestagswahl

Ich gebe zu, ich bin verwundert. Verwundert darüber, wie der einzige eindeutige Verlierer der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag vom 27.09.2009 mit diesem Ergebnis umgeht. Die Rede ist - natürlich - von der SPD.
Da wird jetzt vielfach so getan, als habe man in den letzten vier Jahren mühsam vieles an Kompromissen in der Großen Koalition mit der CDU/CSU schlucken müssen, was eindeutig nicht sozialdemokratische Politik gewesen sei. Ist das wirklich so? Ist es nicht vielmehr so, dass die vorherige und jetzt wieder zur Wahl stehende Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel ein viel größeres Problem hatte, ihren Gestus als sozialdemokratisierende Kanzlerin ihrer eigenen Fraktion, der CDU, zu verkaufen?
Vieles an politischer Gestaltung in den letzten vier Jahren ist von den Bürgern als Stillstand empfunden worden, viele haben andererseits aber aufgeatmet, als sich die Bundesregierung nach einigem Zögern Anfang diesen Jahres entschlossen gegen den Markt und für staatliche Eingriffsverwaltung entschieden hat. Diese Entscheidung scheint richtig gewesen zu sein, es war eine typisch kontinentaleuropäische Entscheidung, die jetzt von den englischsprachigen Ländern - zunächst halbherzig, mittlerweile mit einigem Mehr an Verve - selbst nachvollzogen wird.
Die Ursachen für die jetzige katastrophale Entwicklung des Wählerpotenzials der SPD hat jedoch tiefer liegende Ursachen, und das weiß die Partei auch genau.
Immer wieder wird das Schlagwort von "Hartz IV" in die Debatte geworfen, woran die SPD jetzt letztlich - vor allem auch durch einen umgreifenden Wählerzuwachs der LINKEN in Westdeutschland - gescheitert sein soll. Da ist sicherlich etwas dran. Nicht umsonst musste Gerhard Schröder als letzter sozialdemokratischer Kanzler einer rot-grünen Bundesregierung seinen gesamten Machtimpetus in die Waagschale werfen (und hat darüber auch den Parteivorsitz verloren), die Hartz-Gesetze durchzusetzen. Dass ihm die GRÜNEN dabei auch noch assistiert haben, dürfte ein entschiedener Sündenfall - ähnlich wie das Kosovo, ähnlich wie Afghanistan - sein, der ihnen als Bürgerrechtspartei zumindest die soziale Komponente genommen und sie im Sozialen freidemokratisiert hat.
Das ist für die GRÜNEN weitaus weniger dramatisch als für die SPD, sahen die Ökologen doch nie die Ausrichtung der Sozialstaatlichkeit der Bundesrepublik als ihre vordringliche Aufgabe (dafür war ja - eigentlich - auch die SPD zuständig).
Es mag jetzt verwundern, wenn ich konstatiere, dass die SPD hinsichtlich Hartz IV durchaus konsequent ist. Die Partei ist viel leistungsorientierter, als es auf den ersten Blick hin wirken mag, was - für sich genommen - überhaupt kein Fehler ist. Das Problem ist, dass die Wirkkomponente des "Forderns und Förderns" (man beachte auch die Reihenfolge, die schon im Gesetzestext durchaus so gewollt ist) nie funktioniert hat und auch künftig wohl nicht funktionieren wird. Einmal abgesehen davon, dass sich die bisherige Große Koalition noch nicht einmal auf die Vorgehensweise hinsichtlich der weiteren Ausgestaltung der Job-Center (oder Arbeitsgemeinschaften) im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende einigen können, fragt man sich schon, wie z.B. ein umgreifendes - so gesetzlich vorgesehenes - Fall-Management funktionieren soll, wenn es das bis heute in Teilen der Republik nicht einmal gibt. Stattdessen gibt es eine Sanktionsquote von ca. 4%. Manche halten das für wenig, ich halte das für immens viel.
Und damit kreise ich auch um den eigentlichen Kern des Problems. Natürlich kann man sich mit u.a. Wolfgang Clement auf den Standpunkt stellen, sozial sei, was Arbeit schaffe, und wer keine solche finde, sei letztlich nur zu faul, seine Lebensführung durch eigene Arbeit zu finanzieren.
Für weite Teilbereiche derer, die heute auf einem Niveau der Sozialhilfe leben, aber grundsätzlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, trifft das aber einfach nicht zu. Das weiß die SPD natürlich nur zu genau und es wirkt merkwürdig hilflos, dass sie trotzdem z.B. die zeitweilige Abschaffung der Schwerbehinderten-Akademikerarbeitsvermittlung durch die ZAV abgeschafft hat, obwohl gerade diese es einzig vermocht hat, auch schwerbehinderte Hochschulabsolventen in einem nennenswerten Umfang auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzubringen.
Es hapert also am Sozialen. Das ist - natürlich - eines der entscheidenden Probleme, wenn ich mich dem Grunde nach nur noch um bürgerliche Wählerklientel bemühe (wie man das dem Quartett Steinmeier, Müntefering, Steinbrück und Schröder ohne Weiteres unterstellen darf). Die SPD wird sich nun in der Opposition daran zu beweisen haben, dass sie eben nicht weiterhin versucht, die bessere CDU zu sein (wobei es kaum vorstellbar ist, dass die jetzt antretende Koalition eine umfassende Arbeitsmarktreform auf die Beine zu stellen in der Lage sein wird; dieselbe würde durch die liberale Öffentlichkeit in Deutschland förmlich zerrissen werden. Nicht umsonst lautet ein hübsches, aber treffendes Sprichwort: "Nur Nixon konnte nach China gehen").
Aber auch die GRÜNEN und die LINKE sollten sich keineswegs auf ihren - vermeintlichen - Wahlmeriten ausruhen. Dass die LINKE überweigend nicht wegen ihrer Inhalte, sondern wegen des Protestpotenzials gegenüber der SPD gewählt worden ist (das betrifft insbesondere Westdeutschand, in Ostdeutschland ist die LINKE als Miliepartei durchaus eine ernst zu nehmende, eher strukturkonservativ agierende Volkspartei), ergaben schon Wählerbefragungen weit vor der Bundestagswahl, in denen der Partei zwar die Kompetenz, Probleme sichtbar zu machen und agitatorisch auf die Tagesordnung der Politik zu bringen zugebilligt wurde, nicht hingegen auch eine diesbezüglich Lösungskompetenz. Das ist auch nicht verwunderlich, dort wo die LINKE mit in der Regierung sitzt (wie in Berlin), macht sie jedes "Streichkonzert" mit, das der entsprechende Landeshaushalt zu erfordern scheint.
Fast ebenso verblüfft wie über das Memento mori der SPD war ich persönlich über das Jubelgeheul der GRÜNEN, etwas mehr als 10% der Wählerstimmen ergattert zu haben. Damit stellt die Fraktion zum zweiten Mal hintereinander das Schlusslicht hinsichtlich der Fraktionsstärke im Deutschen Bundestag dar. Das reicht zwar sicherlich hin, um weitere vier Jahre eine ordentliche Opposition zu machen (auch in der Breite der Themen, die die Fraktion rein tatsächlich berücksichtigen kann), deutet aber schon darauf hin, dass die Partei, verhält sie sich weiterhin offensiv nur auf dem ökologischen Gebiert, "das Ende der Fahnenstange" erreicht hat, was den Wählerzulauf betrifft. Auch stellt sich die Frage - ich persönlich bin durchaus kein Freund dieses Modells, aber für die Optionsfähigkeit der Partei spielt das eine große Rolle - ob es sich die GRÜNEN auf Bundesebene werden längerfristig leisten können, sich ausschließlich an die SPD zu binden.
Denn das war augenfällig während des ganzen Wahlkampfes: Dass neben mir mit Sicherheit Millionen anderer Menschen überhaupt nicht nachvollziehen konnten, wie sich SPD und GRÜNE einen Regierungsauftrag durch den Wähler denn nun vorgestellt haben. Die SPD hat auf die Option eines sog. Ampel-Bündnisses gebaut, bei den GRÜNEN war das in dieser Deutlichkeit nicht ganz so klar, da jedoch beide Parteien eine Koalition mit der LINKEN ausgeschlossen hatten, blieb lediglich diese eine Option. Die Frage, die sich dabei stellt ist nun jedoch nur, wie realistisch das jemals gewesen sein soll. Weder hat die FDP in ihrer Koalitionsaussage während dieses Wahlkampfes auch nur einmal "gewackelt" (wofür allein man den bisher nicht als sonderlich beständig geltenden Dr. Guido Westerwelle schon loben muss), noch ist momentan wirklich so richtig vorstellbar, dass diejenigen Wähler, die die FDP gewählt haben (es gibt z.B. eine ganz erstaunliche Wählerwanderung von der SPD hin zur FDP, die so augenscheinlich ist, dass man sich nur die Wahlergebnisse aus den Jahren 2005 und 2009 ansehen muss), sich ein rot-gelb-grünes Bündnis hätten vorstellen mögen oder dies gar gewünscht hätten (so landet in der vor der Wahl stattfindenden Wählerbefragung, welche Koalition denn gewünscht werde, die Große Koalition knapp vor ... rot-rot-grün, wer hätte jetzt auch ernstlich irgendetwas anderes erwartet?).
Man darf konstatieren: Es werden spannende vier Jahre werden (denn, dass die christ-liberale Koalition über diesen Zeitraum halten wird, ist schon aufgrund ihres Vorsprungs an Mandaten wahrscheinlich). Denn nach der nach wie vor anhaltenden Weltwirtschaftskrise werden sich viele Wahlversprechen von schwarz-gelb gar nicht halten lassen. Weder wird man dazu gelangen, die sog. "Leistungsträger" (womit vor allem die FDP augenscheinlich etwas völlig meint, als realistisch wäre, nämlich nahezu ausschließlich ihre eigene Wählerklientel) steuerlich in dem Umfang zu entlasten, wie das vorher versprochen worden ist noch werden die sozialen "Grausamkeiten" sonderlich grausam ausfallen. Erinenrt sei nur an ein Wort der Bundeskanzlerin kurz nach der Wahl, es müsse jetzt niemand Angst haben. Ich denke, das ist wörtlich zu nehmen. Fr. Dr. Merkel wird sich in ähnlicher Weise sozialdemokratisierend durch das politische Umfeld lavieren, wie sie das bereits vier Jahre lang getan hat.
Was beweißt uns das: An der These des "Dicken", in der Ruhe liege die Kraft, muss etwas dran sein. Für Aktionismus wirst Du in Deutschland Wähler gnadenlos abgestraft (siehe Schröder), durch Zuwarten und spätes - in Merkels Fall meistens nicht einmal zu spätes - Agieren kannst Du beim Wahlvolk nur Pluspunkte sammeln. Gut, das funktioniert nicht auf der politischen Linken, die neben Nestwärme auch immer den Anspruch an ein (oder mehrere) politische Projekt(e) hat, aber auf der politischen Rechten funktioniert das famos.

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