Dienstag, 8. September 2009

In Rheinland-Pfalz wird das AGG gelobt. Warum eigentlich?

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) soll in Deutschland die Diskriminierung von Minderheiten im Zivilrecht reduzieren. Das Gesetz entstand aufgrund eines Kompromisses zwischen den Koalitionspartnern der Großen Koalition, wobei man nahezu sämtliche relevanten Bestandteile eines früheren Entwurfes unberücksichtigt gelassen hat, der noch unter rot-grün in den Deutschen Bundestag eingebracht wurde, der jedoch der Diskontinuität (das ist der Wegfall aller Gesetzesvorhaben nach Schluss einer Legislaturperiode) anheim fiel.
Nun meinen die rheinland-pfälzische Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen (MinASGFF) Malu Dreyer, die Landes-Beauftragte für Migration und Integration Maria Weber und der Landesbeauftragte für die Belange behinderter Menschen Ottmar Miles-Paul, das Gesetz habe sich bewährt (zur Pressemitteilung des Ministeriums vom 07.09.2009 folgender Link: http://bit.ly/17vh46).
Fr. Weber meint, es sei der Integration förderlich, dass Betriebe mittlerweile Schulungen durchführen ließen, um Diskriminierungen innerhalb des eigenen Unternehmens zu vermeiden. Zudem sei die Gleichstellung von Lesben und Schwulen durch das AGG so weit zementiert worden, dass man nunmehr auch auf landesrechtlicher Ebene die Lebenspartnerschaften (so werden - da der Begriff "Ehe" verfassungsrechtlich für das Zusammenleben von Mann und Frau mittels Trauschein geschützt ist - die Begründung dauerhafter Bindungen gleichgeschlechtlicher Partner bezeichnet, die vor einem Standesbeamten vollzogen wurden) mit der Ehe gleichgestellt würden.
Für Hrn. Miles-Paul stellt es schon einen Erfolg an sich dar, dass behinderte Menschen überhaupt in das Gesetz mit aufgenommen wurden (zum Hintergrund: die entsprechenden Richtlinien der Europäischen Union haben das - noch - nicht vorgesehen gehabt). Daneben ist es zumindest verblüffend, von einem vormaligen Vertreter der "Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben" lesen zu müssen, bei behinderten Menschen handle es sich um Menschen mit Behinderung (es macht einen Riesenunterschied, ob ich als Mensch, der eine Körper-, Sinnes- oder intellektuelle Schädigung habe, woraus eine Beeinträchtigung folgt, die erst zur Behinderung im sozialen Umfeld führt oder ob ich mich als Mensch durch meine Behinderung schon in der - falschen - Wortwahl stigmatisieren lassen muss; aber vielleicht hat das auch nur die Pressestelle des Ministeriums "verhunzt"). Das ist eine Diktion, die rückwärts gewandt ist und wohl eher zum Sprachgebrauch der CDU/CSU denn zum wohl prominentesten selbst betroffenen Vertreter unter den Beauftragten für die Belange behinderter Menschen passt. 
Immerhin bemängeln die Ministerin und die beiden Beauftragten, dass das Gesetz nicht hinreichend sei und insbesondere im Zivilrecht zu kurz greife.
"Ja, wo denn sonst?", ist man versucht zu fragen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz regelt praktisch ausschließlich Materien des zivilrechtlichen Antidiskriminierungsschutzes (abgesehen von Arbeitsverhältnissen im Öffentlichen Dienst, auf die das Gesetz auch anwendbar ist). Wenn die Ministerin bereits zu Beginn der Pressemitteilung darauf abhebt, das Gesetz habe dazu gedient, das Bewusstsein in weiten Teilen der Bevölkerung dahingehend zu schärfen, dass es eine Vielzahl von Diskriminierungen bei Minderheiten gibt, so ist das - mit Verlaub - Humbug.

Das AGG darf als eines der unbekanntesten Gesetze im deutschen Sprachraum gelten. Das ist nun für Gesetze, die Minderheiten schützen oder deren Diskriminierung verhindern sollen, nichts Ungewöhnliches (dass es seit 2001 das SGB IX als Nachfolgeregelung des Schwerbehindertengesetzes gibt, ist bis heute nicht einmal manchem Unternehmen bekannt; dass es Behindertengleichstellungsgesetze auf Bundes- wie auf Länderebene gibt, weiß bis heute kaum jemand). Tritt ein Fall von Diskriminierung ein - wie kürzlich im Falle eine Vier-Sterne-Hotels in Bayern, das meinte, einem behinderten Gast unterschwellig die Sauna-Nutzung untersagen zu sollen - kommt niemand auch nur auf die Idee, es könne sich um einen der Klage fähigen Sachverhalt handeln.

Dass weiterhin, wie Fr. Dreyer ebenfalls ausführt, eine - von den Wirtschaftsverbänden auf Arbeitgeber vor Schaffung des Gesetz so befürchtete - Klagewelle ausgeblieben sei, mag zwar auch an der übergroßen Zurückhaltung der Diskriminierten liegen, gegen ihre Diskriminierer auch rechtlich vorzugehen (was den Diskriminierern ein schwammig und für sie günstig lautendes Gesetz auch deutlich erleichtert), es liegt aber viel eher daran, dass zum einen vielfach der Aufwand den Ertrag nicht lohnt (so ist der Schadenersatz bei Nichteinstellung trotz Diskriminierung regelmäßig auf maximal drei Brutte-Monatsgehälter beschränkt), zum anderen - wie eben schon geschrieben - das Gesetz die Latte für den Nachweis einer konkreten Benachteiligung reichlich hoch legt. So hoch jedenfalls, dass nach den allgemeinen Regeln des Beweisrechts im Arbeitsgerichtsprozess (denn darum geht es wesentlich im AGG) wie auch im "normalen" Zivilprozess eher freundlich im Sinne der Beklagten, also derjenigen, die die Diskriminierung zu verantworten haben, ausgestaltet ist.

Wenn Fr. Weber ernstlich der Ansicht ist, dass durch Schulungen in Unternehmen Diskriminierungen in nennenswertem Umfang vermieden würden, so ist sie entweder naiv oder sie spricht wider besseres Wissen. Es ist in Juristenkreisen allenthalben bekannt, dass sich nach 2006 (der Schaffung des AGG) ganze Anwaltsfirmen daran gemacht haben, wie das Gesetz - nun, nennen wir es es einmal höflich so - im Sinne der Unternehmen dahingehend "interpretiert" werden kann, dass man zwar weiterhin diskriminiert, der Diskriminierung jedoch durch Betroffene nicht wirksam begegnet werden kann. Hier wäre eine konkrete Beweislastumkehr der sinnvolle Weg gewesen, einzig, die Regierungskoalition wollte sie aus politischen Opportunismus den Arbeitgeberverbänden gegenüber nicht. 

Ich verrate jetzt ja durchaus nichts Neues, wenn ich konstatiere, dass es im Rahmen einer Bewerbungsverfahrens von Arbeitgeberseite her seit jeher tunlich ist, so wenig wie möglich zu begründen, weshalb man einen bestimmten Stellenbewerber gerade nicht haben will. Mit jeder inhaltlichen Begründung macht sich der Begründende angreifbar; sofern er sie unterlässt, hat der Diskriminierte zu beweisen, dass ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Prozedur zur Diskriminierung geführt hat.
Auch hier, wie bei nahezu allen anderen Streitpunkten, hat sich die CDU/CSU im Gesetzgebungsverfahren durchgesetzt. Es gibt keine klassische Beweislastumkehr im AGG, es darf nach wie vor im Individualrechtsverkehr diskriminiert werden (also immer dann, wenn es sich nicht um sog. Massengeschäfte handelt), das Klagerecht der Verbände ist so ausgestaltet, dass es im Grunde kaum wahrgenommen werden kann und es gibt (ein besonders rotes Tuch für mich) ... die Antidiskriminierungsstelle (ADS; dass die Abkürzung mit einer solchen, die man als Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom bezeichnet, gleich lautet, ist sicherlich nur Zufall, passt aber hervorragend ins Bild).
Nicht alleine, dass die CDU für Fr. Dr. Martina Köppen, einen sicherlich verdienten und frohgemuten Christenmenschen, eine Unterbringungsmöglichkeit für mindestens etwas über eine halbe Legislaturperiode geschaffen hat, die von Fr. Dr. Köppen verantwortete ADS hat es in zweieinhalb Jahren geschafft, mit Steuergeldern buchstäblich nichts zu schaffen, außer sich selber bekannt zu machen (und hierfür wiederum Steuergelder in nicht unbeträchtlicher Höhe "verschleudert").
Wenn nun Hr. Miles-Paul wiederum vom Erfolgserlebnis dahingehend spricht, dass behinderte Menschen überhaupt in dem Gesetzesmachwerk auftauchen, kann man - durchaus so boshaft gemeint, wie es klingt - fragen: ja und? Einen besonderen Diskriminierungsschutz im Arbeitsrecht gab es vormals schon im SGB IX, dass man heutzutage - hypothetisch - gegen eine Versicherung vorgehen kann, die den Versicherungsabschluss verweigert: schön. Im Rahmen der Begründung von Mietverhältnissen können behinderte Menschen nach wie vor kaum klagen (wegen der Sperre hinsichtlich der individualrechtlichen Vereinbarungen).

Es spräche gegen diese "Jubelarie" der Damen Dreyer und Weber sowie von Hrn. Miles-Paul ja durchaus nichts, wenn das AGG denn tatsächlich - insbesondere für behinderte Menschen - irgendetwas substanzielles "gebracht" hätte. Aber nur der These zu huldigen, es sei löblich, dass es das Gesetz überhaupt gebe, ist dann - inhaltlich - schon mehr als armselig!

Den Gesetzestext des AGG - es lohnt sich selbst für Nichtjuristen, sich denselben einmal durchzulesen - findet man übrigens hier: http://bit.ly/8HW5m. 

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