Montag, 2. November 2009

Eine merkwürdige Diskussion in den kobinet-nachrichten zur schulischen Inklusion behinderter Kinder

Auf den kobinet-Nachrichten entbrennt ggw. eine höchst skurrile Elterndiskussion darüber, in welchem Umfang inklusiver Unterricht für behinderte Kinder in Nordrhein-Westfalen angeboten werden muss bzw. sollte (http://bit.ly/42usZh).
Neben der Merkwürdigkeit, dass in diese Diskussion fast nur selbst nicht behinderte Eltern von behinderten Kindern eingreifen mangelt es dem Diskussionsstrang auch ansonsten nicht an Skurrilität. Da wird von "besonderen" Kindern geschrieben (jedes Kind ist "besonders", behinderte Kinder weisen eine spezifische Besonderheit lediglich in der durch eine körperliche, intellektuelle, seelische oder Sinnesschädigung auf, die zu einer Beeinträchtigung gewisser Fähigkeiten führt. Die Behinderung rührt nach dem gesellschaftspolitischen Modell der WHO daher, dass es gesellschaftliche Beeinträchtigungen aufgrund Barrieren, Benachteiligungen und Diskriminierungen dieser Personengruppe gibt). Nun gut, vielleicht ist diese verbale Stigmatisierung durch Kuschelpräpotenz ja gewollt, aber sinnvoll ist sie deshalb noch lange nicht.
Weiterhin wird bei kobinet argumentiert, verbeamtete (oder auch angestellte) Lehrkräfte könnten schließlich zum inklusiven Unterricht nicht gezwungen werden. Ja, wo leben wir denn? Natürlich ist mir das Angst-Argument, behinderte Kinder könnten durch schulische Missachtung hintüber fallen, nur zu vertraut. Allerdings ist das ein Scheinargument. Die Vereinigten Staaten von Amerika machen seit Jahren die besten Erfahrungen mit zwangsweisem inklusivem Unterricht beispielsweise im Bereich der ethnischen Integration. Ja, ich weiß, das ist nicht vollständig vergleichbar. Aber sieht man sich z.B. das rhetorische Gerüst an, mit dem die Sonderpädagogik allzumal hier in Deutschland seit Jahrzehnten rechtfertigt, weshalb es für nahezu jedes Beeinträchtigungsbild ein nicht nur stigmatisierendes sondern auch quantitativ ausgrenzendes Segregationsschulsystem gibt, kommt man doch ins Grübeln.
Hier wird - gleichgültig, welches Schädigungs- und mithin Beeinträchtigungsbild vorliegt - nahezu grundsätzlich zunächst einmal ein sonderpädagogischer Förderbedarf konstruiert. Einen solchen Förderbedarf haben jedoch mindestens körperlich und sinnesbeeinträchtigte Kinder gerade nicht. Bei seelischer Beeinträchtigung kann man vermutlich im Einzelfall darüber streiten, bei intellektueller Beeinträchtigung wird es entscheidend auf den Grad der Beeinträchtigung ankommen.
Köperlich und sinnesbeeinträchtigte Kinder haben regelmäßig einen Bedarf an Schulhelfern bzw. an Gebärdensprachdolmetschung (für gehörlose Kinder) bzw. eine Lehrkraft zum Erlernen der Brailleschrift (für blinde Kinder). Alle anderen Bedarfe, z.B. im Bereich der Mobilität oder der sog. lebenspraktischen Fertigkeiten, sind ausnahmslose nicht Sache der Schule, sondern unterfallen entweder dem Bereich der Krankenversicherung oder der Eingliederungshilfe (wobei man sofort wieder die Frage aufwerfen kann, ob man es selbst dann für sachgerecht hält, die einkommens- und vermögensabhängige Eingliederungshilfe im Bereich der Beschulung greifen zu lassen, wenn man das ansonsten bejaht).
Was mich erstaunt, verblüfft und auch ein Stück weit entsetzt ist das vorsichtige Taktieren, mit dem die meisten Eltern behinderter Kinder nach wie vor meinen, vorgehen zu müssen. Da lobe ich mir doch Vorreiter wie Wasilios Katsioulis, der - gezwungener Maßen zwar - das Recht, für seinen Sohn eine inklusive Beschulung zu erreichen, notfalls auch vor Gericht zieht.

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