Montag, 18. Januar 2010

Worum es Roland Koch mit seinen arbeitsmarktpolitischen Vorschlägen (Arbeitspflicht für sog. "Hartz-IV-Leistungsempfänger") eigentlich geht

Man muss die Äußerungen von Roland Koch, der durch solche Aussagen ja nicht erst jetzt auffällt, in einem Gesamtzusammenhang sehen. Kochs angedachter Bundesarbeitsdienst ist einem Modell entlehnt, das er vor einigen Jahren in Wisconsin in den Vereinigten Staaten vorgeführt bekommen hat. Allerdings kennt der Staat Wisconsin - und das weiß Roland Koch als Jurist natürlich ganz genau - zwei wesentliche Voraussetzungen nicht, die einen solchen Bundesarbeitsdienst (das Wort ist von mir bewusst gewählt und soll ebenso bewusst an einen anderen Arbeitsdienst vor knapp 70 Jahren erinnern) erst möglich machen würden. Zum einen gibt es in der Bundesrepublik das Verbot von Zwangsarbeit. Nun kann man sich füglich darüber streiten, ob die Verpflichtung zur Annahme jeder zumutbaren Arbeit für sich genommen nicht schon nahe an einen Zwangsarbeitsdienst heran reicht. Eine förmliche Arbeitsverpflichtung bei Erhalt staatlicher Leistungen dürfte die Trennlinie sodann jedoch endgültig verwischen.
Der zweite Punkt: Obwohl die
Arbeitslosenversicherung in Deutschland als weitgehend abgeschafft gelten darf, gibt es hier ein System der Leistungsgewährung aufgrund Versicherung nach wie vor. Ein solches System ist in den USA jedoch allenfalls unter noch viel erschwerteren Bedingungen vorhanden, es gibt gerade unter Obama Ansätze, eine weitgehende Gesetzliche Krankenversicherung einzuführen.
Letztlich wollen Koch, der "Wirtschaftsweise" Franz mit seinem Vorschlag, die Leistung eben einmal um 100 Euro zu kürzen, und Konsorten eigentlich von einem viel tiefer gehenden Problem ablenken: Es gibt in einer nachindustriellen Gesellschaft wie der unseren zwar genug zu tun, aber schlichtweg nicht den Willen, für solche Dienstleistungen auch anständige Entgelte zu bezahlen. Das momentane System der Ausgrenzung der Nicht-Habenden ist ja durchaus so gewollt.
Insofern ist Koch ein Protagonist einer Politik, die die eigene vermögende Klientel bedient und die Mittelschicht und die Geringverdiener immer weiter schröpft. Das ist politisch so gewollt (das Drama ist, das war unter Schröder zu Zeiten von rot/grün schon nicht viel anders), man will sich schließlich seine potenziellen Parteispender - von noch dubioseren Angelegenheiten gar nicht zu
schreiben - ja durchaus nicht verprellen.
Und natürlich handelt ein homo politicus wie Koch mit einem politischen Kalkül. Einmal spricht er mit seinen rhetorischen Auslassungen natürlich die politische Rechte in der Union an, die sich unter der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zunehmend in die Defensive gedrängt sieht, zum anderen forciert Koch - wie im Übrigen auch schon Franz - den Druck auf das Bundesverfassungsgericht, das angekündigt hat, in wenigen Wochen über die Regelsätze nicht nur für Kinder, wie es die ursprünglichen Anträge vorgesehen haben, sondern auch für erwachsene Leistungsempfänger entscheiden zu wollen. Bei dem Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Senat deutlich erkennen lassen, dass er die Regelsatzgestaltung insgesamt für unplausibel und - wichtiger - für inhaltlich ungerecht und das Existenzminimum nicht abdeckend hält.
Nun ist die politische Rechte bekannt dafür, dass sie seit einigen Jahren durch sprachlichen Furor versucht, das Bundesverfassungsgericht einzuschüchtern, wenn ihr eine - hier ja noch gar nicht ergangene - Entscheidung nicht passt, erinnert sei nur an den Kruzifix-Beschluss oder die Rechtsprechung zu dem Tucholsky-Zitat "Soldaten sind Mörder". Man darf gespannt sein, ob sich das Bundesverfassungsgericht dem politischen Druck, es geht um Milliarden von Euro, nicht doch beugen wird. Immerhin geht es ja "nur" um erwerbslose Menschen. Würde das Bundesverfassungsgericht einknicken, wäre das für diese Demokratie ein schlimmerer Sündenfall als all die politischen Skandale und Skandälchen in den letzten Jahren, die nicht unbeträchtlich zur Parteienverdrossenheit beigetragen haben.

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