Samstag, 24. September 2016

Zur ersten Lesung des #Bundesteilhabegesetzes (#BTHG) im Deutschen #Bundestag

Denn sie wissen sehr genau, was sie tun!

Und sie können sich noch nicht einmal - die Damen und Herren gerade der Union sind doch ansonsten so bibelfest - auf das Zitat aus dem Lukas-Evangelium "Denn sie wissen nicht, was sie tun" (Lk 23, 34) berufen. Nicht allein, dass die Debatte - ob es nun Hr. Schiewerling oder Fr. Tack waren - vonseiten der Koaltion mit wirklich unterirdischen Argumenten geführt worden ist. Wir Betroffenen, also die beeinträchtigten, also die im Sprachgebrauch immer noch fälschlich als Behinderte bezeichneten Menschen (Behinderung ist ein sozialer Begriff, kein medizinischer, wie ihn die Gesetzgebung nach wie vor fälschlich verwendet) beobachten die ganze Diskussion, wenn ich denn Hr. Schiewerling richtig verstanden habe, ja von Bäumen aus, auf die uns die Opposition mit ihrer Angstmache getrieben habe und die Opposition in den Personen der Abgeordneten Katrin Werner und Corinna Rüffer hatte also - nach der inklusionspolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Kerstin Tack - nichts Besseres zu tun, als nur auf Emotionen zu setzen und solle sich endlich wieder auf die Ebene der Fachlichkeit begeben. Wir sind also, die wir alle Fraktionen mit den von Fr. Werner und Fr. Rüffer (den behindertenpolitischen Sprecherinnen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen) verwendeten Argumenten gefüttert haben, so von Angst vor unserer eigenen Argumentation erfüllt, dass wir auf Bäume klettern müssen (kann ich nicht, ich hab' u.a. eine beidseitige Hüftdysplasie und Klumpfüße; auf Bäume klettern ist damit nciht drin) und wir sind so unfachlich, dass wir die fachliche Luminiszenz einer Kerstin Tack ("inklusionspoliitsche" [sic!] Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion), die sich dann gleich bemüßigt gesehen hat, überhaupt kein fachliches Argument zu bringen, nicht erkennen können. Wie pflegte vorgestern Abend noch die SPD-Bundestagsabgeordnete Gottschalck in einer persönlichen Nachricht an mich zu schreiben: Ich will Sie schützen. Aha, nicht nur, dass wir - abgesehen von den Begrifflichkeiten - mit dem #Bundesteilhabegesetz (#BTHG) vom Fürsorgerdanken eben nicht wegkommen, wir müssen auch vor unseren Argumentation und vor unserer eigenen Wut darüber, auf gut deutsch nur noch verarscht zu werden, geschützt werden. Es ist immerhin gut zu wissen, wo die Union und die SPD behindertenpolitisch wirklich stehen.
Ein mäßiges Lob übrigens an den behindertenpolitischen Sprecher der Unionsfraktion Uwe Schummer: Derselbe ging mir - bei Weitem - nicht weit genug, aber er hat einige Probleme wenigstens konkret fassbar gemacht, so schon in einem MDR-Beitrag vom Mittwoch, wo er sinngemäß ausgeführt hat: Wie das Ministerium auf die fünf Lebensbereiche [derer es im Regelfall bedarf, um überhaupt noch Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten zu können; d. Verf.], ist mir schleierhaft. Ich weiß nicht, ob sie das ausgewürfelt haben oder sie eine Erscheinung hatten.
Genau das scheint mir das grundständige Problem in weiten Teilen dieses Entwurfs zu sein. Als halbwegs intelligenter juristisch studiert habender Laubfrosch kann man beim fachlichen Durchlesen des Entwurfs eigentlich nur zu drei Schlussfolgerungen gelangen:
1.
Die #Bundesregierung hat den durch den Bundesrat ins Gesetzgebungsverfahren eingebrachten Vorschlag, dass mit dem Gesetzentwurf keinerlei progressive Ausgabendynamik verbunden sein darf, weitgehend ernst genommen (so steht es denn auch schon in der Präambel der Erläuterungen zum Gesetzentwurf). Das Gesetz ist ausdrücklich - das haben auch die Debattenredner auch der Koalition am Donnerstag noch einmal eindrücklich betont - kein solches, das in irgendeiner Form zusätzliche Leistungselemente (und dadurch Kosten verrursachen könnte; folglich ist das Argument der Ausgabendynamik faktisch ein ausschließlich ein durch Preissteigerungen und den dmographischen Wandel bedingtes) enthält. Es ist vielmehr - und darauf hat die Opposition dankenswerter Weise in aller Klarheit hingewiesen - in Wahrheit ein Spargesetz.
2.
Es erweckt sich an mehreren Stellen der Eindruck, als sollten Einrichtungsträger massiv geschützt werden. Man könnte auf den bösen Verdacht kommen, von denselben sei die ein oder andere Handreichung zum Gesetzentwurf geliefert worden (Lobbyisten gibt es - natürlich - auch mittlerweile auf diesem Gebiet; es gibt sie - dummer Weise - nur eben praktisch überhaupt nicht von "unserer" Seite).
3.
Man verleiht zwar gerne - mittlerweile auch an "uns", mittlerweile sogar schon an die Angehörigen der Betroffenen (was eine großartige Sache für deren Lebensleistung ist; die Frage ist nur, hilft uns das im täglichen Gestrüpp dessen, was wir da zu ertragen haben, wirklich weiter) - den ein oder anderen Orden, es darf dann sogar mittlerweile manchmal sogar schon das Bundesverdienstkreuz am Bande sein.
Im behördlichen Alltag werden wir nach wie vor abgefertigt wie Schulkinder oder wie Äffchen im Zoo, denen man regelmäßig Futter gibt, sie beim Spielen richtig niedlich findet, sie aber ansonsten in keiner Weise ernst nimmt.
Ich habe kürzlich als einer der Mitverfasser des Ursprungsentwurfs des BGG, den das FbJJ vor fünfzehn Jahren geliefert hat, geschrieben:
Sie haben uns so lange mitspielen lassen, sie haben uns sogar so lange ein wenig glänzen lassen, wie sie wussten, es kann ihnen finanziell nicht wirklich schaden. Schon die UN-BRK haben sie so hundsmiserabel übersetzt, dass man wirklich froh sein muss, dass die deutsche Übersetzung rechtlich überhaupt nicht maßgeblich ist (das LSG Baden-Württemberg verwendet z.B. die - durchaus maßgebliche - französische Fassung). Das SGB IX verkommt zu einem ähnlichen Papiertiger, wie es das 1974 geschaffene RehaAnglG (das weitgehend dieselben Zielsetzungen verfolgte wie das SGB IX) eines war (weil die darin formulierten Rechte regelmäßig nicht mit Sanktionen belegt waren, wenn sie von den Leistungsträgern nicht befolgt wurden; das ist im SGB IX sehr weitgehend genauso).
Jetzt legen sie uns ein BTHG vor, von dem ich nicht umsonst schreibe, es sei der schlimmste Rückschritt in der Behindertenpolitik seit den 1960er Jahren. Als das BSHG geschaffen worden ist, hat man sich wenigstens bemüht, aus den Fürsorgerichtlinien der 1920er Jahre stammende Regelungen gesetzlich so zu normieren, dass ein pflichtgemäßes Ermessen durch die Verwaltung ausgeübt werden musste. Sogar dahinter geht der BTHG-Entwurf in Teilen noch zurück.

Dieser Gesetzentwurf entspricht in keiner Weise dem Gleichheitsgrundsatz des #Grundgesetz, wo nach dessen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 "kein Mensch [...] wegen einer Behinderung benachteligt werden [darf]", dieser Gesetzentwurf verletzt in vielerlei Hinsicht die die Bundesrepublik, nachdem sie die Konvention ratifiziert hat, unmittelbar rechthlich bindende #Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nation (#UN-BRK). 
Bei beidem scheint diese Bundesregierung der Ansicht zu sein, es handele sich jeweils um unverbindliche Programmsätze statt an unmittelbar geltendes Recht, woran Verwaltung und Regierung gebunden sind, wonach sich die Rechtsprechung zu orientieren hat. Man sollte eine Verfassung auf Sonntagsreden nciht nur regelmäßig zitieren, man sollte sie auch in ihren wesentlichen Inhalten verstanden haben.

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