Ein Gespenst geht um in Deutschland, und es ist diesmal nicht im „Kommunistischen Manifest“ veröffentlicht, aber es geht – wie schon bei Karl Marx – um Finanzielles.
Wie die Website www.taubenschlag.de vor wenigen Tagen berichtet, fühlt sich ein Jugendamt beim Landratsamt im baden-württembergischen Rastatt mittlerweile bemüßigt, einer Familie mit gehörlosen Eltern eine Sorgerechtsentziehung wegen Verletzung der elterlichen Fürsorgepflicht anzudrohen, wenn die Eltern ihrem Kind kein Cochlea Implantat (CI) einsetzen lassen.
Worum geht es? Ums Geld, worum sonst?
Die Familie hat es gewagt, beim Sozialamt des Landkreises Leistungen für Gebärdenprachdolmetschung zu beantragen. Nun ist das Sozialamt allerdings der Ansicht – und damit steht es in Deutschland nicht mehr alleine, dem Verfasser sind mehrere weitere Fälle u.a. aus dem Bereich der inklusiven Beschulung bekannt -, wenn dem Kind ein CI eingesetzt würde, könne man schließlich dauerhaft Kosten sparen, zudem sei durch die Reparaturmaßnahme am Gehör doch die Integration am Leben in der Gesellschaft deutlich besser möglich.
Sind wir jetzt schon wieder so weit, dass behinderte Menschen ausschließlich nach Kostengesichtspunkten betrachtet werden?
Die Tendenz geht ganz offensichtlich in diese Richtung. Wenn wir neuerdings von behindertenpolitischen Sprechern der Regierungskoalition lesen, die Werkstätten für behinderte Menschen sollten zugunsten einer Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zunehmend reduziert werden, klingt das in den Ohren der Behindertenselbsthilfebewegung zunächst einmal wie Schallmeienklang. Liest man sich allerdings die – dürfitge – Begründung der Aussagen ein wenig intensiver durch, stellt man sehr schnell fest, dass hier – wie häufig im politischen Diskurs wie auch von Einrichtungsträgern – zwar das Vokabular der Behindertenbewegung benutzt wird, das dahinter stehende Moment aber keineswegs ein solches ist, dass den Ansprüchen auf gleichberechtigte Teilhabe genügen könnte. Es geht den Protagonisten sowohl der Sozialhilfeverwaltungen als auch dem politischen Establishment einzig und alleine um einen Gesichtspunkt, nämlich den, die – aus deren Sicht viel zu teure – Eingliederungshilfe finanziell „einzudampfen“.
Im Grunde verlangt der Landkreis Rastatt von den Eltern, dass sie ihr Kind gesellschaftskonform „reparieren“ lassen. Dabei darf man sich durchaus die Frage stellen, was dann der Grundgesetzartikel 3 Absatz 3 Satz 2, niemand dürfe wegen seiner Behinderung benachteiligt werden, eigentlich noch für einen Aussagewert hat? Hier wird menschliches Leben – und das hatten wir vor fünfundsechzig, siebzig, fünfundsiebzig Jahren alles schon einmal – auf seinen „Nutzwert“ hin deklariert.
Wozu hat die Behindertenbewegung jahrzehntelang darum gestritten, als gesellschaftlich gleichwertig anerkannt zu werden, wenn jetzt kein gesamtgesellschaftlicher Aufschrei erfolgt, dass eine in der Mitte der Gesellschaft stehende Personengruppe aufgrund finanzieller Momente massiv diskriminiert zu werden droht?
Es ist ein winzig kleiner Schritt vom Kulturvolk zum Kulturbruch. Wir brauchen eine deutlich offensiv und offen geführte Diskussion darüber, inwiefern sich behinderte Menschen in die Gesellschaft „integrieren“ müssen oder ob nicht die Gesellschaft einer Verpflichtung unterliegt, sich so barrierefrei und antidiskriminatorisch auszugestalten, dass man als behinderter Mensch nicht wieder Angst darum haben muss, nur aufgrund seiner Beeinträchtigung als schiere Spielmasse im öffentlichen Leben behandelt zu werden.
„Nicht über uns ohne uns“? Es gilt hier vielmehr der Grundsatz, dass mit uns zu verhandeln ist, und nicht über unsere Köpfe hinweg.
Wo bleibt der gesamtgesellschaftliche empathische Aufschrei darüber, was uns da jetzt politisch und administrativ von den Verwaltungen gewollt aufgedrückt zu werden droht?
Wenn man sich jetzt ansieht, dass die kommunalen Spitzenverbände ggw. um eine Verfassungsänderung dahingehend kämpfen, dass die Argen bestehen bleiben sollen (die Bundesagentur für Arbeit hat daran kein wirkliches Interesse), dann doch nicht deshalb, weil es den Leistungsträgern um die vorgebliche Leistung aus einer Hand geht, die bei sämtlichen oben genannten Personengruppen gerade _nicht_ funktioniert. Nein, bei allem Gejammere, wie viel Hartz IV doch insbesondere die Kommunen koste: Durch die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe haben vor allem die Kommunen ein massives Sparpotenzial entdeckt, dass sie in den letzten Jahren zum Teil geschickt dadurch ausgebaut haben, dass sie die sie selbst betreffenden Kosten der Unterkunft in großem Umfang pauschaliert haben, gerade mit eben solchen Rechentricks, mit denen schon der verfassungswidrige Regelsatz begründet worden ist.
Machen wir uns nichts vor: Es ging zuallerletzt und zuallerwenigst darum, Menschen tatsächlich wieder in Arbeit zu bringen (bei sieben Mio. Leistungsempfängern der Grundsicherung und des Sozialgeldes wäre das wohl auch ein eher hehrer Anspruch). Es ging - unter dem Postulat der vermeintlichen Folgen der Globalisierung - einzig und alleine darum, am unteren Rand der Bevölkerung ein Sparpotenzial zu offenbaren, das es den Unternehmen durch eine weitgehende Reduzierung des Entgeltniveaus auf dem Niedriglohnsektor erst ermöglichte, den sharholder value so richtig prmonient in den Vordergrund zu stellen. Dazu muss man nicht einmal ein Linker sein, das sieht in letzter Konsequenz selbst ein Prof. Sinn im Ergebnis nicht wesentlich anders. Und genau das war politisch doch auch gewollt. Was man einzig der SPD als Partei und den vermeintlich bürgerrechtlich orientierten GRÜNEN vorwerfen kann ist, dass sie diesem Basta-Kanzler bei dessen erbärmlichen Muskelspielchen im Parlament auch noch gefolgt sind und sich von dessen Vertrauensfrage in dieser Angelegenheit haben "aufs Kreuz legen" lassen.
Wenn ich heute allerdings bereits zum Teil lese, die momentane Regierungskoalition könnte sich pilatisch "die Hände in Unschuld waschen", schließlich sei sie ja an der Hartz-Gesetzgebung nicht beteiligt gewesen, zeigt das einmal mehr die vollendete Scheinheiligkeit politischer Argumentation. Zum einen haben die Schwarz-Gelben das gesamte Hartz-Paket natürlich mitgetragen, es entsprach ja seit jeher ihrer politischen Überzeugung. Zum anderen: Wer konnte die momentane Regierungskoalition auf Bundesebene denn daran hindern, ein tatsächliches Wachstumsbeschleunigungsgesetz zu beschließen, indem die Regelsätze auf das existenznotwendige Minimum von ggw. um die 480,- € erhöht worden wäre? Da lese ich heute schon wieder in SPIEGEL online - und man möchte beinahe meinen, es ginge unmittelbar um das Geld des schreibenden Redakteurs: Was das den Staat wieder alles kosten wird?
Na und! Als die Spekulanten die Wirtschaft beinahe "in den Graben" gefahren haben, hat auch kein Mensch mehr danach gefragt, wie teuer das Ganze wohl werden könnte. Da ging es auf einmal nur noch nach dem Prinzip "Vogel friss oder stirb". Ist also eine Volkswirtschaft in Gefahr, ist jedes denkbare Mittel recht, widerspricht es auch noch so sehr jedem Marktmodell. Geht es aber "nur" um sieben Millionen von Grundsicherung und Sozialgeld Betroffene, darf lustig drauflos gespart werden, die Klientel kann sich ja zum einen kaum wehren, zum anderen hat sie auch nicht das Geld, die regierenden Parteien für ihre eigene Zweckverfolgung zu schmieren, wie das die Hotellerie offensichtlich in großem Umfang zu können in der Lage zu sein scheint.
Hier noch der Link zum Urteil, das ich in den nächsten Tagen vermutlich noch besprechen werde:
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