Montag, 2. November 2009

Eine merkwürdige Diskussion in den kobinet-nachrichten zur schulischen Inklusion behinderter Kinder

Auf den kobinet-Nachrichten entbrennt ggw. eine höchst skurrile Elterndiskussion darüber, in welchem Umfang inklusiver Unterricht für behinderte Kinder in Nordrhein-Westfalen angeboten werden muss bzw. sollte (http://bit.ly/42usZh).
Neben der Merkwürdigkeit, dass in diese Diskussion fast nur selbst nicht behinderte Eltern von behinderten Kindern eingreifen mangelt es dem Diskussionsstrang auch ansonsten nicht an Skurrilität. Da wird von "besonderen" Kindern geschrieben (jedes Kind ist "besonders", behinderte Kinder weisen eine spezifische Besonderheit lediglich in der durch eine körperliche, intellektuelle, seelische oder Sinnesschädigung auf, die zu einer Beeinträchtigung gewisser Fähigkeiten führt. Die Behinderung rührt nach dem gesellschaftspolitischen Modell der WHO daher, dass es gesellschaftliche Beeinträchtigungen aufgrund Barrieren, Benachteiligungen und Diskriminierungen dieser Personengruppe gibt). Nun gut, vielleicht ist diese verbale Stigmatisierung durch Kuschelpräpotenz ja gewollt, aber sinnvoll ist sie deshalb noch lange nicht.
Weiterhin wird bei kobinet argumentiert, verbeamtete (oder auch angestellte) Lehrkräfte könnten schließlich zum inklusiven Unterricht nicht gezwungen werden. Ja, wo leben wir denn? Natürlich ist mir das Angst-Argument, behinderte Kinder könnten durch schulische Missachtung hintüber fallen, nur zu vertraut. Allerdings ist das ein Scheinargument. Die Vereinigten Staaten von Amerika machen seit Jahren die besten Erfahrungen mit zwangsweisem inklusivem Unterricht beispielsweise im Bereich der ethnischen Integration. Ja, ich weiß, das ist nicht vollständig vergleichbar. Aber sieht man sich z.B. das rhetorische Gerüst an, mit dem die Sonderpädagogik allzumal hier in Deutschland seit Jahrzehnten rechtfertigt, weshalb es für nahezu jedes Beeinträchtigungsbild ein nicht nur stigmatisierendes sondern auch quantitativ ausgrenzendes Segregationsschulsystem gibt, kommt man doch ins Grübeln.
Hier wird - gleichgültig, welches Schädigungs- und mithin Beeinträchtigungsbild vorliegt - nahezu grundsätzlich zunächst einmal ein sonderpädagogischer Förderbedarf konstruiert. Einen solchen Förderbedarf haben jedoch mindestens körperlich und sinnesbeeinträchtigte Kinder gerade nicht. Bei seelischer Beeinträchtigung kann man vermutlich im Einzelfall darüber streiten, bei intellektueller Beeinträchtigung wird es entscheidend auf den Grad der Beeinträchtigung ankommen.
Köperlich und sinnesbeeinträchtigte Kinder haben regelmäßig einen Bedarf an Schulhelfern bzw. an Gebärdensprachdolmetschung (für gehörlose Kinder) bzw. eine Lehrkraft zum Erlernen der Brailleschrift (für blinde Kinder). Alle anderen Bedarfe, z.B. im Bereich der Mobilität oder der sog. lebenspraktischen Fertigkeiten, sind ausnahmslose nicht Sache der Schule, sondern unterfallen entweder dem Bereich der Krankenversicherung oder der Eingliederungshilfe (wobei man sofort wieder die Frage aufwerfen kann, ob man es selbst dann für sachgerecht hält, die einkommens- und vermögensabhängige Eingliederungshilfe im Bereich der Beschulung greifen zu lassen, wenn man das ansonsten bejaht).
Was mich erstaunt, verblüfft und auch ein Stück weit entsetzt ist das vorsichtige Taktieren, mit dem die meisten Eltern behinderter Kinder nach wie vor meinen, vorgehen zu müssen. Da lobe ich mir doch Vorreiter wie Wasilios Katsioulis, der - gezwungener Maßen zwar - das Recht, für seinen Sohn eine inklusive Beschulung zu erreichen, notfalls auch vor Gericht zieht.

Donnerstag, 8. Oktober 2009

Niedersachsen will das sozialgerichtliche Verfahren reformieren ... aber natürlich nicht zulasten der "Hilfebedürftigen"

Mit einer besonders "lustigen" Pressemitteilung erfreut uns heute das niedersächsische Justizministerium. Danach ist von Seiten des Bundeslandes Niedersachsen eine Bundesratsiniative geplant, mit der durch die Änderung materiellen Sozialrec...hts die Sozialgerichtsbarkeit entlastet werden soll. Aufhorchen lässt dabei insbesondere die Aussage des niedersächsichen Justizministers, dass es dabei keine Abstriche der Rechte der Hilfebedürftigen geben soll. Das ist gleich aus zweierlei Gründen feinsinnig formuliert: Zum einen soll ja das materielle Recht eingeschränkt werden, nicht hingegen das formelle (letzteres ist Prozessrecht, und darauf bezieht sich Busemann ja wohl). Zum anderen ist es schon bezeichnend, dass Busemann jeglichen Antragsteller oder Kläger in einem Sozialgerichtsprozess meint, den "Hilfebedürftigen" zurechnen zu müssen. Die Versicherten in der Sozialversicherung, deren Vorbringen vor Gericht nach wie vor einen Großteil der Arbeit der Sozialgerichte ausmacht, vergisst er dabei geflissentlich. Dass daneben das Sozialverwaltungsverfahren bereits bislang - vorsichtig formuliert - zugunsten der Sozialleistungsträger ausformuliert ist, wird dabei auch eben mal "unter den Tisch gekehrt".

Link zur Pressemitteilung des niedersächsischen Justizministeriums: http://bit.ly/1T7X0Y

Sonntag, 4. Oktober 2009

Behinderte Menschen dürfen jetzt auch nahe von Freiburg stationär - natürlich nicht ambulant - in Einzelzimmern leben: http://bit.ly/333ieu

Wie die "Badische Zeitung" vom 02.10.2009 mitteilt, dürfen jetzt - nach einem Umbau eines Heimes - in Haslach nahe Freiburg auch Menschen mit Lernschwierigkeiten (konventionell auch gern "geistig behindert" genannt) stationär - natürlich nicht ambulant, wo kämen wir da auch hin! - in Einzelzimmern leben.
Die Caritas hat sich mit einem Neubau also - einmal wieder - ein Denkmal gesetzt, sie hat - einmal wieder - dafür gesorgt, dass es behinderten Menschen von Sozialhilfeträgern unmöglich gemacht werden wird, sich in einem eigenen Lebensumfeld zu bewegen, sie hat - wieder einmal - dafür gesorgt, dass der sozialhilferechtliche Grundsatz "ambulant vor stationär" die Einrichtungsträger "einen feuchten Kehricht" interessiert.

Was macht die Behindertenselbsthilfe, wenn sie denn überhaupt reagiert? Es wird - wieder einmal - einen allenfalls lahmen Protest geben, die Initiative (dankenswerter Weise gibt es die wenigstens) "Daheim statt Heim" wird - vielleicht, wieder einmal - einen Aufschrei loslassen. Und das wird es - wieder einmal - gewesen sein. 

Wenn schon eine rot-grüne und eine Große Koalition überhaupt keinen Fortschritt im Bereich "ambulant vor stationär" erzielt haben, obwohl dieser Grundsatz als Fundamentalnorm im SGB XII festgelegt ist, was soll man dann erst von einer wirtschaftsliberalen schwarz-gelben Regierung auf Bundesebene auf diesem Gebiet erwarten?

Verlinkung: http://bit.ly/333ieu. 

Dienstag, 29. September 2009

Das große Heulen und Zähneklappern der SPD nach der Bundestagswahl

Ich gebe zu, ich bin verwundert. Verwundert darüber, wie der einzige eindeutige Verlierer der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag vom 27.09.2009 mit diesem Ergebnis umgeht. Die Rede ist - natürlich - von der SPD.
Da wird jetzt vielfach so getan, als habe man in den letzten vier Jahren mühsam vieles an Kompromissen in der Großen Koalition mit der CDU/CSU schlucken müssen, was eindeutig nicht sozialdemokratische Politik gewesen sei. Ist das wirklich so? Ist es nicht vielmehr so, dass die vorherige und jetzt wieder zur Wahl stehende Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel ein viel größeres Problem hatte, ihren Gestus als sozialdemokratisierende Kanzlerin ihrer eigenen Fraktion, der CDU, zu verkaufen?
Vieles an politischer Gestaltung in den letzten vier Jahren ist von den Bürgern als Stillstand empfunden worden, viele haben andererseits aber aufgeatmet, als sich die Bundesregierung nach einigem Zögern Anfang diesen Jahres entschlossen gegen den Markt und für staatliche Eingriffsverwaltung entschieden hat. Diese Entscheidung scheint richtig gewesen zu sein, es war eine typisch kontinentaleuropäische Entscheidung, die jetzt von den englischsprachigen Ländern - zunächst halbherzig, mittlerweile mit einigem Mehr an Verve - selbst nachvollzogen wird.
Die Ursachen für die jetzige katastrophale Entwicklung des Wählerpotenzials der SPD hat jedoch tiefer liegende Ursachen, und das weiß die Partei auch genau.
Immer wieder wird das Schlagwort von "Hartz IV" in die Debatte geworfen, woran die SPD jetzt letztlich - vor allem auch durch einen umgreifenden Wählerzuwachs der LINKEN in Westdeutschland - gescheitert sein soll. Da ist sicherlich etwas dran. Nicht umsonst musste Gerhard Schröder als letzter sozialdemokratischer Kanzler einer rot-grünen Bundesregierung seinen gesamten Machtimpetus in die Waagschale werfen (und hat darüber auch den Parteivorsitz verloren), die Hartz-Gesetze durchzusetzen. Dass ihm die GRÜNEN dabei auch noch assistiert haben, dürfte ein entschiedener Sündenfall - ähnlich wie das Kosovo, ähnlich wie Afghanistan - sein, der ihnen als Bürgerrechtspartei zumindest die soziale Komponente genommen und sie im Sozialen freidemokratisiert hat.
Das ist für die GRÜNEN weitaus weniger dramatisch als für die SPD, sahen die Ökologen doch nie die Ausrichtung der Sozialstaatlichkeit der Bundesrepublik als ihre vordringliche Aufgabe (dafür war ja - eigentlich - auch die SPD zuständig).
Es mag jetzt verwundern, wenn ich konstatiere, dass die SPD hinsichtlich Hartz IV durchaus konsequent ist. Die Partei ist viel leistungsorientierter, als es auf den ersten Blick hin wirken mag, was - für sich genommen - überhaupt kein Fehler ist. Das Problem ist, dass die Wirkkomponente des "Forderns und Förderns" (man beachte auch die Reihenfolge, die schon im Gesetzestext durchaus so gewollt ist) nie funktioniert hat und auch künftig wohl nicht funktionieren wird. Einmal abgesehen davon, dass sich die bisherige Große Koalition noch nicht einmal auf die Vorgehensweise hinsichtlich der weiteren Ausgestaltung der Job-Center (oder Arbeitsgemeinschaften) im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende einigen können, fragt man sich schon, wie z.B. ein umgreifendes - so gesetzlich vorgesehenes - Fall-Management funktionieren soll, wenn es das bis heute in Teilen der Republik nicht einmal gibt. Stattdessen gibt es eine Sanktionsquote von ca. 4%. Manche halten das für wenig, ich halte das für immens viel.
Und damit kreise ich auch um den eigentlichen Kern des Problems. Natürlich kann man sich mit u.a. Wolfgang Clement auf den Standpunkt stellen, sozial sei, was Arbeit schaffe, und wer keine solche finde, sei letztlich nur zu faul, seine Lebensführung durch eigene Arbeit zu finanzieren.
Für weite Teilbereiche derer, die heute auf einem Niveau der Sozialhilfe leben, aber grundsätzlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, trifft das aber einfach nicht zu. Das weiß die SPD natürlich nur zu genau und es wirkt merkwürdig hilflos, dass sie trotzdem z.B. die zeitweilige Abschaffung der Schwerbehinderten-Akademikerarbeitsvermittlung durch die ZAV abgeschafft hat, obwohl gerade diese es einzig vermocht hat, auch schwerbehinderte Hochschulabsolventen in einem nennenswerten Umfang auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzubringen.
Es hapert also am Sozialen. Das ist - natürlich - eines der entscheidenden Probleme, wenn ich mich dem Grunde nach nur noch um bürgerliche Wählerklientel bemühe (wie man das dem Quartett Steinmeier, Müntefering, Steinbrück und Schröder ohne Weiteres unterstellen darf). Die SPD wird sich nun in der Opposition daran zu beweisen haben, dass sie eben nicht weiterhin versucht, die bessere CDU zu sein (wobei es kaum vorstellbar ist, dass die jetzt antretende Koalition eine umfassende Arbeitsmarktreform auf die Beine zu stellen in der Lage sein wird; dieselbe würde durch die liberale Öffentlichkeit in Deutschland förmlich zerrissen werden. Nicht umsonst lautet ein hübsches, aber treffendes Sprichwort: "Nur Nixon konnte nach China gehen").
Aber auch die GRÜNEN und die LINKE sollten sich keineswegs auf ihren - vermeintlichen - Wahlmeriten ausruhen. Dass die LINKE überweigend nicht wegen ihrer Inhalte, sondern wegen des Protestpotenzials gegenüber der SPD gewählt worden ist (das betrifft insbesondere Westdeutschand, in Ostdeutschland ist die LINKE als Miliepartei durchaus eine ernst zu nehmende, eher strukturkonservativ agierende Volkspartei), ergaben schon Wählerbefragungen weit vor der Bundestagswahl, in denen der Partei zwar die Kompetenz, Probleme sichtbar zu machen und agitatorisch auf die Tagesordnung der Politik zu bringen zugebilligt wurde, nicht hingegen auch eine diesbezüglich Lösungskompetenz. Das ist auch nicht verwunderlich, dort wo die LINKE mit in der Regierung sitzt (wie in Berlin), macht sie jedes "Streichkonzert" mit, das der entsprechende Landeshaushalt zu erfordern scheint.
Fast ebenso verblüfft wie über das Memento mori der SPD war ich persönlich über das Jubelgeheul der GRÜNEN, etwas mehr als 10% der Wählerstimmen ergattert zu haben. Damit stellt die Fraktion zum zweiten Mal hintereinander das Schlusslicht hinsichtlich der Fraktionsstärke im Deutschen Bundestag dar. Das reicht zwar sicherlich hin, um weitere vier Jahre eine ordentliche Opposition zu machen (auch in der Breite der Themen, die die Fraktion rein tatsächlich berücksichtigen kann), deutet aber schon darauf hin, dass die Partei, verhält sie sich weiterhin offensiv nur auf dem ökologischen Gebiert, "das Ende der Fahnenstange" erreicht hat, was den Wählerzulauf betrifft. Auch stellt sich die Frage - ich persönlich bin durchaus kein Freund dieses Modells, aber für die Optionsfähigkeit der Partei spielt das eine große Rolle - ob es sich die GRÜNEN auf Bundesebene werden längerfristig leisten können, sich ausschließlich an die SPD zu binden.
Denn das war augenfällig während des ganzen Wahlkampfes: Dass neben mir mit Sicherheit Millionen anderer Menschen überhaupt nicht nachvollziehen konnten, wie sich SPD und GRÜNE einen Regierungsauftrag durch den Wähler denn nun vorgestellt haben. Die SPD hat auf die Option eines sog. Ampel-Bündnisses gebaut, bei den GRÜNEN war das in dieser Deutlichkeit nicht ganz so klar, da jedoch beide Parteien eine Koalition mit der LINKEN ausgeschlossen hatten, blieb lediglich diese eine Option. Die Frage, die sich dabei stellt ist nun jedoch nur, wie realistisch das jemals gewesen sein soll. Weder hat die FDP in ihrer Koalitionsaussage während dieses Wahlkampfes auch nur einmal "gewackelt" (wofür allein man den bisher nicht als sonderlich beständig geltenden Dr. Guido Westerwelle schon loben muss), noch ist momentan wirklich so richtig vorstellbar, dass diejenigen Wähler, die die FDP gewählt haben (es gibt z.B. eine ganz erstaunliche Wählerwanderung von der SPD hin zur FDP, die so augenscheinlich ist, dass man sich nur die Wahlergebnisse aus den Jahren 2005 und 2009 ansehen muss), sich ein rot-gelb-grünes Bündnis hätten vorstellen mögen oder dies gar gewünscht hätten (so landet in der vor der Wahl stattfindenden Wählerbefragung, welche Koalition denn gewünscht werde, die Große Koalition knapp vor ... rot-rot-grün, wer hätte jetzt auch ernstlich irgendetwas anderes erwartet?).
Man darf konstatieren: Es werden spannende vier Jahre werden (denn, dass die christ-liberale Koalition über diesen Zeitraum halten wird, ist schon aufgrund ihres Vorsprungs an Mandaten wahrscheinlich). Denn nach der nach wie vor anhaltenden Weltwirtschaftskrise werden sich viele Wahlversprechen von schwarz-gelb gar nicht halten lassen. Weder wird man dazu gelangen, die sog. "Leistungsträger" (womit vor allem die FDP augenscheinlich etwas völlig meint, als realistisch wäre, nämlich nahezu ausschließlich ihre eigene Wählerklientel) steuerlich in dem Umfang zu entlasten, wie das vorher versprochen worden ist noch werden die sozialen "Grausamkeiten" sonderlich grausam ausfallen. Erinenrt sei nur an ein Wort der Bundeskanzlerin kurz nach der Wahl, es müsse jetzt niemand Angst haben. Ich denke, das ist wörtlich zu nehmen. Fr. Dr. Merkel wird sich in ähnlicher Weise sozialdemokratisierend durch das politische Umfeld lavieren, wie sie das bereits vier Jahre lang getan hat.
Was beweißt uns das: An der These des "Dicken", in der Ruhe liege die Kraft, muss etwas dran sein. Für Aktionismus wirst Du in Deutschland Wähler gnadenlos abgestraft (siehe Schröder), durch Zuwarten und spätes - in Merkels Fall meistens nicht einmal zu spätes - Agieren kannst Du beim Wahlvolk nur Pluspunkte sammeln. Gut, das funktioniert nicht auf der politischen Linken, die neben Nestwärme auch immer den Anspruch an ein (oder mehrere) politische Projekt(e) hat, aber auf der politischen Rechten funktioniert das famos.

Donnerstag, 24. September 2009

Bundesverfassungsgericht verbietet der NPD anti-polnische Äußerungen (http://bit.ly/l6qYo)

Das Bundesverfassungsgericht hat heute in einer Kammerentscheidung (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24.09.2009, Aktenzeichen: 2 BvR 2179/09) im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Mecklenburg-Vorpommern Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bestätigt, das dem Kreisverband Uecker-Randow der NPD die Verbreitung eines anti-polnischen Plakates untersagt hatte (http://bit.ly/l6qYo). Die Verfassungsbeschwerde wurde erst gar nicht zur Entscheidung angenommen. Danach bleiben Aussagen wie "Polen-Invasion stoppen!" oder in diesem Zusammenhang die bildliche Darstellung von Krähen und Euro-Geldscheinen, nach denen eine der Krähen pickt, untersagt. Kurz gesagt hat sowohl das OVG als auch das BVerfG die Menschenwürde der Deutschland lebenden Polen tangiert gesehen (s. unter Gründe 1.d.aa. [Randnummer 11]).
Die Entscheidung ist systematisch sauber begründet. Auch inhaltlich ist ihr in vollem Umfang zuzustimmen, sowohl wenn sich die Kammer auf die Störung der öffentlichen Ordnung als auch auf eine Verletzung der Menschenwürde polnischer Bürger, die in der Bundesrepublik leben, stützt. Obwohl überspitzte und polemische Auseinandersetzung zum demokratischen Diskurs - insbesondere auch im Wahlkampf - gehört, kann und darf dies nicht bedeuten, dass in der Art des "Stürmer" Parteipropaganda betrieben wird!

Dienstag, 8. September 2009

In Rheinland-Pfalz wird das AGG gelobt. Warum eigentlich?

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) soll in Deutschland die Diskriminierung von Minderheiten im Zivilrecht reduzieren. Das Gesetz entstand aufgrund eines Kompromisses zwischen den Koalitionspartnern der Großen Koalition, wobei man nahezu sämtliche relevanten Bestandteile eines früheren Entwurfes unberücksichtigt gelassen hat, der noch unter rot-grün in den Deutschen Bundestag eingebracht wurde, der jedoch der Diskontinuität (das ist der Wegfall aller Gesetzesvorhaben nach Schluss einer Legislaturperiode) anheim fiel.
Nun meinen die rheinland-pfälzische Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen (MinASGFF) Malu Dreyer, die Landes-Beauftragte für Migration und Integration Maria Weber und der Landesbeauftragte für die Belange behinderter Menschen Ottmar Miles-Paul, das Gesetz habe sich bewährt (zur Pressemitteilung des Ministeriums vom 07.09.2009 folgender Link: http://bit.ly/17vh46).
Fr. Weber meint, es sei der Integration förderlich, dass Betriebe mittlerweile Schulungen durchführen ließen, um Diskriminierungen innerhalb des eigenen Unternehmens zu vermeiden. Zudem sei die Gleichstellung von Lesben und Schwulen durch das AGG so weit zementiert worden, dass man nunmehr auch auf landesrechtlicher Ebene die Lebenspartnerschaften (so werden - da der Begriff "Ehe" verfassungsrechtlich für das Zusammenleben von Mann und Frau mittels Trauschein geschützt ist - die Begründung dauerhafter Bindungen gleichgeschlechtlicher Partner bezeichnet, die vor einem Standesbeamten vollzogen wurden) mit der Ehe gleichgestellt würden.
Für Hrn. Miles-Paul stellt es schon einen Erfolg an sich dar, dass behinderte Menschen überhaupt in das Gesetz mit aufgenommen wurden (zum Hintergrund: die entsprechenden Richtlinien der Europäischen Union haben das - noch - nicht vorgesehen gehabt). Daneben ist es zumindest verblüffend, von einem vormaligen Vertreter der "Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben" lesen zu müssen, bei behinderten Menschen handle es sich um Menschen mit Behinderung (es macht einen Riesenunterschied, ob ich als Mensch, der eine Körper-, Sinnes- oder intellektuelle Schädigung habe, woraus eine Beeinträchtigung folgt, die erst zur Behinderung im sozialen Umfeld führt oder ob ich mich als Mensch durch meine Behinderung schon in der - falschen - Wortwahl stigmatisieren lassen muss; aber vielleicht hat das auch nur die Pressestelle des Ministeriums "verhunzt"). Das ist eine Diktion, die rückwärts gewandt ist und wohl eher zum Sprachgebrauch der CDU/CSU denn zum wohl prominentesten selbst betroffenen Vertreter unter den Beauftragten für die Belange behinderter Menschen passt. 
Immerhin bemängeln die Ministerin und die beiden Beauftragten, dass das Gesetz nicht hinreichend sei und insbesondere im Zivilrecht zu kurz greife.
"Ja, wo denn sonst?", ist man versucht zu fragen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz regelt praktisch ausschließlich Materien des zivilrechtlichen Antidiskriminierungsschutzes (abgesehen von Arbeitsverhältnissen im Öffentlichen Dienst, auf die das Gesetz auch anwendbar ist). Wenn die Ministerin bereits zu Beginn der Pressemitteilung darauf abhebt, das Gesetz habe dazu gedient, das Bewusstsein in weiten Teilen der Bevölkerung dahingehend zu schärfen, dass es eine Vielzahl von Diskriminierungen bei Minderheiten gibt, so ist das - mit Verlaub - Humbug.

Das AGG darf als eines der unbekanntesten Gesetze im deutschen Sprachraum gelten. Das ist nun für Gesetze, die Minderheiten schützen oder deren Diskriminierung verhindern sollen, nichts Ungewöhnliches (dass es seit 2001 das SGB IX als Nachfolgeregelung des Schwerbehindertengesetzes gibt, ist bis heute nicht einmal manchem Unternehmen bekannt; dass es Behindertengleichstellungsgesetze auf Bundes- wie auf Länderebene gibt, weiß bis heute kaum jemand). Tritt ein Fall von Diskriminierung ein - wie kürzlich im Falle eine Vier-Sterne-Hotels in Bayern, das meinte, einem behinderten Gast unterschwellig die Sauna-Nutzung untersagen zu sollen - kommt niemand auch nur auf die Idee, es könne sich um einen der Klage fähigen Sachverhalt handeln.

Dass weiterhin, wie Fr. Dreyer ebenfalls ausführt, eine - von den Wirtschaftsverbänden auf Arbeitgeber vor Schaffung des Gesetz so befürchtete - Klagewelle ausgeblieben sei, mag zwar auch an der übergroßen Zurückhaltung der Diskriminierten liegen, gegen ihre Diskriminierer auch rechtlich vorzugehen (was den Diskriminierern ein schwammig und für sie günstig lautendes Gesetz auch deutlich erleichtert), es liegt aber viel eher daran, dass zum einen vielfach der Aufwand den Ertrag nicht lohnt (so ist der Schadenersatz bei Nichteinstellung trotz Diskriminierung regelmäßig auf maximal drei Brutte-Monatsgehälter beschränkt), zum anderen - wie eben schon geschrieben - das Gesetz die Latte für den Nachweis einer konkreten Benachteiligung reichlich hoch legt. So hoch jedenfalls, dass nach den allgemeinen Regeln des Beweisrechts im Arbeitsgerichtsprozess (denn darum geht es wesentlich im AGG) wie auch im "normalen" Zivilprozess eher freundlich im Sinne der Beklagten, also derjenigen, die die Diskriminierung zu verantworten haben, ausgestaltet ist.

Wenn Fr. Weber ernstlich der Ansicht ist, dass durch Schulungen in Unternehmen Diskriminierungen in nennenswertem Umfang vermieden würden, so ist sie entweder naiv oder sie spricht wider besseres Wissen. Es ist in Juristenkreisen allenthalben bekannt, dass sich nach 2006 (der Schaffung des AGG) ganze Anwaltsfirmen daran gemacht haben, wie das Gesetz - nun, nennen wir es es einmal höflich so - im Sinne der Unternehmen dahingehend "interpretiert" werden kann, dass man zwar weiterhin diskriminiert, der Diskriminierung jedoch durch Betroffene nicht wirksam begegnet werden kann. Hier wäre eine konkrete Beweislastumkehr der sinnvolle Weg gewesen, einzig, die Regierungskoalition wollte sie aus politischen Opportunismus den Arbeitgeberverbänden gegenüber nicht. 

Ich verrate jetzt ja durchaus nichts Neues, wenn ich konstatiere, dass es im Rahmen einer Bewerbungsverfahrens von Arbeitgeberseite her seit jeher tunlich ist, so wenig wie möglich zu begründen, weshalb man einen bestimmten Stellenbewerber gerade nicht haben will. Mit jeder inhaltlichen Begründung macht sich der Begründende angreifbar; sofern er sie unterlässt, hat der Diskriminierte zu beweisen, dass ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Prozedur zur Diskriminierung geführt hat.
Auch hier, wie bei nahezu allen anderen Streitpunkten, hat sich die CDU/CSU im Gesetzgebungsverfahren durchgesetzt. Es gibt keine klassische Beweislastumkehr im AGG, es darf nach wie vor im Individualrechtsverkehr diskriminiert werden (also immer dann, wenn es sich nicht um sog. Massengeschäfte handelt), das Klagerecht der Verbände ist so ausgestaltet, dass es im Grunde kaum wahrgenommen werden kann und es gibt (ein besonders rotes Tuch für mich) ... die Antidiskriminierungsstelle (ADS; dass die Abkürzung mit einer solchen, die man als Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom bezeichnet, gleich lautet, ist sicherlich nur Zufall, passt aber hervorragend ins Bild).
Nicht alleine, dass die CDU für Fr. Dr. Martina Köppen, einen sicherlich verdienten und frohgemuten Christenmenschen, eine Unterbringungsmöglichkeit für mindestens etwas über eine halbe Legislaturperiode geschaffen hat, die von Fr. Dr. Köppen verantwortete ADS hat es in zweieinhalb Jahren geschafft, mit Steuergeldern buchstäblich nichts zu schaffen, außer sich selber bekannt zu machen (und hierfür wiederum Steuergelder in nicht unbeträchtlicher Höhe "verschleudert").
Wenn nun Hr. Miles-Paul wiederum vom Erfolgserlebnis dahingehend spricht, dass behinderte Menschen überhaupt in dem Gesetzesmachwerk auftauchen, kann man - durchaus so boshaft gemeint, wie es klingt - fragen: ja und? Einen besonderen Diskriminierungsschutz im Arbeitsrecht gab es vormals schon im SGB IX, dass man heutzutage - hypothetisch - gegen eine Versicherung vorgehen kann, die den Versicherungsabschluss verweigert: schön. Im Rahmen der Begründung von Mietverhältnissen können behinderte Menschen nach wie vor kaum klagen (wegen der Sperre hinsichtlich der individualrechtlichen Vereinbarungen).

Es spräche gegen diese "Jubelarie" der Damen Dreyer und Weber sowie von Hrn. Miles-Paul ja durchaus nichts, wenn das AGG denn tatsächlich - insbesondere für behinderte Menschen - irgendetwas substanzielles "gebracht" hätte. Aber nur der These zu huldigen, es sei löblich, dass es das Gesetz überhaupt gebe, ist dann - inhaltlich - schon mehr als armselig!

Den Gesetzestext des AGG - es lohnt sich selbst für Nichtjuristen, sich denselben einmal durchzulesen - findet man übrigens hier: http://bit.ly/8HW5m. 

Sonntag, 23. August 2009

Buchneurscheinung am 31.08.2009

Am 31.08.2009 erscheint ein neues Buch mit dem Titel "Politik und Recht für Menschen mit Behinderung in Europa und Asien" im Nomos-Verlag.
Obwohl sich der Titel (er geht noch weiter, wie man unten lesen kann) recht sperrig liest und das Werk mit 98 Euro nicht gerade preiswert ist, ist das Buch doch interessanter, als es auf den ersten Blick hin scheinen mag.
Das Buch ist aufgrund eines Ende 2007 in München stattgehabten Workshops zur Behindertenrechts- und -kulturvergleichung, die u.a. vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Sozialrecht und der Speyerer Deutschen Verwaltungshochschule veranstaltet wurde, entstanden.Es schließt an eine Konferenz aus dem Jahre 2002, aus der auch ein Buch hervorgegangen ist, an, in der es ausschließlich um die rechtsvergleichende Seite von Politik für behinderte Menschen in Asien und Europa ging.
Während das Ergebnis - insbesondere im Kultur-, aber auch im Rechtsvergleich - zeigte, dass in asiatischen Gesellschaften vielfach nach wie vor ein paternalistisches Modell im Umgang mit behinderten Menschen vorherrscht, sind einige Beiträge, die sich mit dem Recht und den Teilhabemöglichkeiten für behinderte Menschen in Europa auseinandersetzen, von einigem Interesse. Zu nennen sind hier insbesondere die Beiträge von Bernd Schulte ("Behindertenpolitik und Behindertenrecht in Europa"), Peter Trenk-Hinterberger ("Teilhaberechte behinderter Menschen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union") und Peter A. Köhler ("Behindertenpolitik und Rechte behinderter Menschen in Schweden"), die sämtlich interessante "Außenblicke" auf ganz unterschiedliche Aspekte des Rechts und der Politik für behinderte Menschen in Europa aufzeigen. Vielfach wird hierdurch erst nachhaltig deutlich, wo - insbesondere in der deutschen Behindertenpolitik - nach wie vor erklatante Schwachstellen liegen.
Mit dieser, der deutschen Behindertenpolitik, setze ich mich in meinem Beitrag "Behindertenpolitik in Deutschland aus der Sicht behinderter Menschen - Eine Streitschrift für eine bessere Behindertenpolitik" (S. 151-188) kritisch auseinander.
Es werden die verschiedenen Ebenen rechtliche Verortung des Rechts für behinderte Menschen dargestellt; dabei untersuche ich zunächst den Organisationsrahmen, innerhalb dessen Politiken für behinderte Menschen in Deutschland betrieben werden (so hinsichtlich des Deutschen Behindertenrates, der Beauftragten für die Belange behinderter Menschen und der in einigen Landesgleichstellungsgesetzen verankerten Beiräte), setze mich sodann mit verschiedenen Lebensphasen auseinander, die für behinderte Menschen besonders relevant sind (Kindergarten/Hort, Schule und Arbeitsleben) und behandele weiterhin Querschnittbereiche, die für behinderte Menschen von Relevanz sind (Teilhabe kontra Eingliederungshilfe, Persönliches Budget, Antidiskriminierung und Benachteiligungsverbot, Barrierefreiheit sowie - als besonderer Ausfluss derselben - Kommunikation und Medien). Dabei ergibt sich insgesamt ein negatives Urteil hinsichtlich der von der gegenwärtigen Großen Koalition betriebenen Politik für behinderte Menschen und ich komme am Schluss seines Beitrages zu dem Fazit: "Es wird allerhöchste Zeit, dass – wie in den 1980er Jahren – wieder einmal einige politisch denkende behinderte Menschen deutlich Lärm schlagen, um das – erstarrte, ermüdete und vollkommen lethargisch gewordene – behindertenpolitische Establishment aufzuwecken und die vor wenigen Jahren begonnenen Reformansätze nicht nur endlich fruchtbar zu machen, sondern in tatsächliche reformerische Ansätze auswachsen zu lassen."

Buchtitel:
von Maydell/Pitschas/Pörtner/Schulte (Hrsg.): Politik und Recht für Menschen mit Behinderung in Europa und Asien. Unter den Bedingungen des demografischen Wandels - kulturelle Voraussetzungen und Erklärungshypothesen (Studien aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Sozialrecht); 509 Seiten; 2009, Baden-Baden; Nomos-Verlag; 98,- Euro; ISBN 978-38329-4798-9 (Fundstelle: http://www.nomos-shop.de/productview.aspx?product=11621).