Samstag, 8. Oktober 2016

#Behinderung: Wir sollten keine Veranstaltungen mehr besuchen, auf denen wir nur als Staffage dienen

Wie eigentlich regelmäßig: Man kann den Ausführungen von Christiane Link nur in vollem Umfang zustimmen. Solange wir nicht als tatsächlich Gleichberechtigte auf Augenhöhe mit betetiligt werden, sollten wir auch passiv Veranstaltungen, die sich mit den uns anlangenden Themen beschäftigen, dem Grunde nach boykottieren.
Ich habe momentan z.B. das gestern hier beschriebene Problem, dass ich jetzt nicht weiß, ob ich mir die Veranstaltung zum Bundesteilhabegesetz als Generalthema des Deutschen Sozialgerichtstages Anfang November wirklich "antun" soll. Nachdem ich gesehen hatte, dass dort kein Betroffener bei der dort am Schlusstag der Veranstaltung stattindenden Podiumsdiskussion mit auf dem Podium sitzt, habe ich beim Geschäftsführer des Verbandes nachgefragt, ob man denn nicht einen solchen dort platzieren könne. Als Antwort bekam ich gestern von der Präsidentin des Verbandes zu lesen, man beabsichtige nicht, das Podium zu erweitern, ich könne mich ja aus dem Publikum heraus beteiligen. Darüber habe ich mich dermaßen geärgert (nicht deswegen, weil ich dort nicht auf dem Podium sitzen werden, sondern weil mit schnöder Arroganz das Thema einfach abgebügelt worden ist), dass ich der Präsidentin den folgenden Brief geschrieben habe:

"-------- Weitergeleitete Nachricht --------
Betreff: mein Gz.: 005.40 - 19.16.dsgt.po.präs.pa - 16.04 (DSGT-Generalthema 2016); hier: Ihr E-Mail-Anschreiben vom 07.10.2016
Datum: Fri, 7 Oct 2016 15:26:35 +0200
Von: Alexander Drewes
An: Monika Paulat, Deutscher Sozialgerichtstag e.V. (Potsdam), Präsidentin
Kopie (CC): Johannes Graf von Pfeil, Deutscher Sozialgerichtstag e.V. (Potsdam), Geschäftsführer

Sehr geehrte Frau Paulat,

Ihre Entscheidung, überhaupt keinen sachverständigen Betroffenen bei der
Podiumsdiskussion zuzulassen, ist - gelinde gesagt - enttäuschend. Von
mir als an Taubheit grenzendem Hörbeinträchtigten und Blinden zu
verlangen, ich könne mich ja vermittels des Auditoriums in eine solche
Veranstaltung einbringen, zeigt eindrücklich, dass Ihre Kenntnisse
zumindest im Hinblick auf das erste Beeinträchtigungsbild nicht sehr
umfassend sein können.

Wie auch immer, mir geht es vorliegend überhaupt nicht um die eigene
Person. Wir erleben ggw. einen - vermutlich in der Öffentlichkeit, weil
kaum medial publiziert, gar nicht wahrgenommenen - Sturm der Entrüstung
bei praktisch sämtlichen Betroffenenverbänden, bei der freien
Wohlfahrtspflege, bei den Gewerkschaften und eben bei einer Vielzahl von
Betroffenen (erst vorgestern war ich auf einer Demonstration in
Düsseldorf gegen das BTHG, an der immerhin - für diesen Personenkreis
ist das eine unglaublich hohe Zahl - 2500 Menschen teilgenommen haben.
Bei einer Veranstaltung in Hannover in der letzten Woche waren es 7000).
Es hätte sich - gerade in Anbetracht dessen, dass sich der Verband im
Gegensatz zur "Konkurrenz" als auch nach nicht-juristischen Seiten hin
als ausgesprochen progressiv darstellt - aus meiner Sicht einfach
gehört, hier einen fachkundigen selbst Betroffenen mit zu Wort kommen zu
lassen. Nicht umsonst hat sich seit der Ratifizierung der
UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) die These "Nicht über uns, nicht
ohne uns" in der behindertenpolitischen Debatte durchgesetzt (die leider
immer noch viel zu sehr eine sozialrechtliche und medizinisch
intendierte Debatte ist und den menschenrechtlichen Ansatz der UN-BRK
weitgehend aus dem Blickfeld vergisst). Sie haben mit Fr. Kocaj als
Vertreterin des Landkriestages Brandenburg jemanden auf dem Podium
sitzen, die eindeutig Partei ist. Wenn Sie schon keine/n Betroffene/n
auf dem Podium sitzen haben wollen, hätte doch wenigstens der Gedanke
nahe gelegen, mindestens eine/n Vertreter/in der Freien Wohlfahrtspflege
einzuladen. Hier "nur" jemanden vonseiten des DGB sitzen zu haben, gibt
der Diskussion - mit Verlaub - eine eindeutig intendierte Richtung. Das
ist ausdrücklich zu bedauern.

Ich bin ein wenig enttäuscht, dass sich ein Verband wie der Deutsche
Sozialgerichtstag bei einem derart sensiblen Thema augenscheinlich
dermaßen wenig Gedanken gemacht hat. Sie wissen selber genau, dass eine
Festansprache schon vom Anspruch und der kritischen Hinterfragung her
ein völlig anderes Sujet darstellt als eine Fachdiskussion mit
denjenigen, die mit wesentlich dazu beigetragen haben, dass der Entwurf
durch die Betroffenen vielfach als ein solches Desaster empfunden wird;
diese Meinung teile ich.

Wenn es Ihnen also im Hinblick auf meine Person an der hinreichenden
Prominenz ermangelt, hätte man ja eine/n Betroffene/n suchen können, der
diesem Maßstab gerecht wird.

Wie auch immer, es ist nicht meine Entscheidung, sondern die Ihre.

Hinsichtlich der künftigen Teilnahme an einer der Kommissionen tue ich
mich - ehrlich gesagt - erheblich schwer. Behindertenrechtliche
Schwerpunkte (nicht umsonst bin ich ein großer Befürworter eines
eigenständigen Leistungsgesetzes für beeinträchtigte Menschen, das sich
dann auch der Probleme aus dem SGB'n II, III, V, VI, VIII, XI und XII
annehmen würde) finden sich so vielgestaltig, dass man dafür (die
Kommission das Schwerbehindertenrecht betreffend "kümmert" sich ja wohl
überwiegend um Materien aus dem SGB IX; das reicht aber eben bei Weitem
nicht hin, dazu ist das Behindertenrecht viel zu komplex und in zu
vielen Rechtsgebieten verortet, als dass selbst Experten hier häufiger
Schwierigkeiten haben) dem Grunde nach eine eigenständige Kommission
begründen müsste.

Wir können uns gerne auf dem DSGT austauschen, gleichwohl ich nach Ihren
Ausführungen durchaus das Gefühl habe, nicht wirklich im richtigen
Verband verortet zu sein (zugegeben, die Konkurrenz gibt sich ja noch
elitärer und ausschließlich auf die Gerichtsbarkeit bezogen. Aber ich
muss ehrlich konzedieren, die fehlende Flexibiltät, die aus Ihrem
Anschreiben spricht, hat mich durchaus enttäuscht).

Mit freundlichem Gruß

Alexander Drewes, LL.M."

Unten der - sehr lesenswerte Beitrag - von Christiane Link.

http://blog.zeit.de/stufenlos/2016/10/04/irgendwas-mit-inklusion-ohne-behinderte-menschen/

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